Kopf-an-Kopf-Rennen bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Israel: Nachwahlbefragungen der Fernsehsender Channel 1 und 10 zufolge errangen sowohl der konservative Likud-Block von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als auch das Mitte-Links-Bündnis unter Führung von Arbeitsparteichef Jitzchak Herzog jeweils 27 Sitze.
Laut dem Sender Channel 2 erzielte Netanjahus Partei mit 28 Sitzen einen hauchdünnen Sieg. Herzogs Zionistische Union verfügt demnach über 27 Sitze. Das arabische Parteienbündnis wurde den Prognosen zufolge mit 13 Sitzen erstmals drittstärkste Kraft im Parlament. In die Knesset werden insgesamt 120 Abgeordnete entsandt.
Damit ist eine vierte Amtszeit des Likud-Vorsitzenden Benjamin Netanjahu wahrscheinlich. Für ihn dürfte es einfacher werden, eine Koalition mit rechten und religiösen Parteien zu bilden. Endgültige Ergebnisse werden nicht vor Mittwochmorgen erwartet.
Netanjahu löste am Wahltag mit Warnungen vor «Massen arabischer Wähler» scharfe Kritik aus. Er hatte auf Facebook rechtsorientierte Wähler zur Rettung seiner Machtbasis aufgerufen.
Staatspräsident für grosse Koalition
Staatspräsident Reuven Rivlin sprach sich noch am Abend für die Bildung einer grossen Koalition zwischen der Likud-Partei und dem Zionistischen Lager aus.
«Ich bin überzeugt, dass nur eine Einheitsregierung den raschen Zerfall der israelischen Demokratie und baldige Neuwahlen verhindern kann», sagte Rivlin der Zeitung «Haaretz» zufolge.
Rivlin hatte vor der Wahl bereits angedeutet, eine solche Konstellation zu bevorzugen. Eine grosse Koalition hatten sowohl Netanjahu als auch Herzog vor der Wahl abgelehnt.
Beide Seiten legen nach
Am Montag hatte Netanjahu einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern offen eine Absage erteilt – ungeachtet einer absehbaren Verschlechterung der Beziehungen zu den USA und der EU. Mit dieser Kehrtwende in der Nahost-Politik versuchte er, ultrarechte Siedler in letzter Minute für sich zu gewinnen
Auch Netanjahus Rivalen sahen kurzfristigen Handlungsbedarf. Sie kippten am Vorabend der Wahl kurzerhand ein Rotationsabkommen, wonach Herzog und Ex-Aussenministerin Zipi Livni im Falle eines Wahlsiegs abwechselnd die Rolle des Ministerpräsidenten übernommen hätten.
Herzog gab in Tel Aviv seine Stimme ab und sagte, die Bevölkerung Israels habe die Wahl zwischen Wandel und Hoffnung oder Verzweiflung und Enttäuschung. Eine Regierungsbildung könnte für ihn angesichts der Übermacht des rechten Lagers dennoch schwierig werden.
Komfortablere Lage für Netanjahu
Da es mehr konservative und rechte Parteien gibt, denen ein Einzug in die Knesset gelingen dürfte, ist Netanjahu voraussichtlich in einer aussichtsreicheren Position, ein Bündnis zu bilden, selbst wenn er knapp gegen Livni und Herzog verlieren sollte.
Präsident Rivlin wird nach Beratungen mit allen in die Knesset gewählten Parteien entscheiden, welchen Politiker er mit der Regierungsbildung beauftragt. Gelingt die Regierungsbildung nicht innerhalb von 42 Tagen, muss der Präsident einen anderen Politiker damit beauftragen.
Landesweit öffneten am Dienstag mehr als 10’000 Wahllokale. Knapp sechs Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, die 120 Abgeordneten im Parlament, der Knesset, neu zu bestimmen. Das neue Parlament soll am 31. März vereidigt werden.