Der pensionierte Zürcher Jugendanwalt Hansueli Gürber ärgert sich, dass er den Film gemacht hat, der den Fall «Carlos» ins Rollen brachte. Heute hätten alle Beteiligten Panik, einen Fehler zu begehen. «Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung», sagte Gürber in einem Interview mit der «SonntagsZeitung»
Der Ärger darüber, den Film gemacht zu haben, sei stärker gewesen als die Tatsache, dass über ihn selbst diskutiert wurde und er einen Maulkorb hatte. «Der Film war ein Fehler, ganz klar», sagte Gürber. Vor allem nervte er sich über sich selbst. Er sei zu gutgläubig gewesen.
«Natürlich war Carlos eine teurer Fall. Doch der Fall war zum damaligen Zeitpunkt ein voller Erfolg,» sagte er. Er habe sich immer wieder gefragt, wieso er die Brisanz nicht realisiert habe.
Vor allem die ersten zwei Wochen des Shitstorms gegen ihn seien «heavy» gewesen. Es habe Morddrohungen und wüsteste Beschimpfungen gehagelt. «Eklig» gewesen seien die Anrufe zu Hause, weil es seine Familie hineinzog. Am schlimmsten sei die Unterstellung gewesen, dass er das Ganze im Alleingang oder gar heimlich gemacht hätte.
Selbst Kommission glaubte an Alleingang
Als er gemerkt habe, dass die Mitglieder der Justizkommission des Zürcher Kantonsrats dies glaubten, sei es aus allen Wolken gefallen. Eine erste, viel billigere Platzierung von «Carlos» im Ausland hätte die Oberjugendanwaltschaft ja nicht zugelassen.
Anderseits habe er aber auch seitenlange Briefe bekommen mit Dank für seine Arbeit. Er habe sehr wertvolle Unterstützung von der Polizei bekommen und sogar von Jugendlichen, die er von seiner früheren Arbeit als Jugendanwalt in Horgen kannte. «Sie zogen eine Art Überwachung meines Hauses auf. Da war vieles sehr berührend,» sagte Gürber.
Angst auf allen Ebenen im Strafrecht
Das Schlimmste, was ein Teil der Medien bewirkt habe, sei, dass heute alle Beteiligten Panik hätten, einen Fehler zu begehen. «Es besteht die Gefahr, dass ich bei einem Jugendlichen nicht den erfolgversprechendsten Weg wähle, sondern den Weg, bei dem ich im Falle des Scheiterns nicht verantwortlich erscheine,» sagte Gürber.
Diese Angst stelle er auf allen Ebenen im Strafrecht fest: Bei der Untersuchung, bei der psychiatrischen Begutachtung, beim Urteil und im Vollzug. «Man hat stets im Auge, was mit einem passiert, wenn etwas schiefläuft.» Ihm selbst gehe es inzwischen wieder sehr gut. Er ist seit September pensioniert.
Erstmals Stellung zum Fall «Carlos» genommen hatte Gürber Anfang Oktober im DOK-Film «Zwischen Recht und Gerechtigkeit» vom Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Dort sagte er, er habe sich von seinen Vorgesetzten im Stich gelassen gefühlt.