Per Milchaufschäumer ins Herz der Frau

Feiertage sind in den USA Einkaufstage. Angesichts der Rabattschlachten haben dort sogar schon einzelne Nach- und Vorfeiertage eigene Namen gekriegt. In Europa ist das alles noch feierlicher. Sogar am Valentinstag. Ich erschrecke hier ja immer noch an Feiertagen: Da fahren die S-Bahnen in Kurzformation, die Läden sind dicht und die Strassen offen wie nie. In […]

Feiertage sind in den USA Einkaufstage. Angesichts der Rabattschlachten haben dort sogar schon einzelne Nach- und Vorfeiertage eigene Namen gekriegt. In Europa ist das alles noch feierlicher. Sogar am Valentinstag.

Ich erschrecke hier ja immer noch an Feiertagen: Da fahren die S-Bahnen in Kurzformation, die Läden sind dicht und die Strassen offen wie nie.

In der Bay Area ist das umgekehrt. Feiertage sind, genauso wie Samstage und Sonntage, die Zeit der Grosseinkäufe. Man besteigt als Familie das Auto, fährt drei Meilen in die nächste Mall, lädt die Kinder im «Food-Court» – einem kreisrunden Teil des Einkaufstempels, dessen Peripherie von Fastfood-Verkaufsstellen gebildet wird – oder in einer Eatery (frei übersetzt eine «Esserei») ab und macht sich auf zum «exciting shopping».

Nicht, dass die Amerikaner Mühe hätten, Zeit für die Beschaffung der Notwendigkeiten zu finden – viele Läden haben das ganze Jahr Öffnungszeiten bis tief in den Abend oder sogar rund um die Uhr.

Aber die Feiertage sind die wahren Stepping-Stones des Retail-Business: Vorher, während und nachher werden die Verbraucher mit Rabatten gelockt, die während Wochen angekündigt wurden und oft zum Ereignis selbst werden, an dem man den Feiertag erkennt.

Der restliche Sinn der arbeitsfreien Tage mit Namen wie Memorial Day, Presidents Day, Labor Day oder Martin-Luther-King-Day erschliesst sich dem Zuwanderer nur nach jahrelanger Übung. Ein bisschen anders ist es am Gruseltag Halloween, dem Nationalfeiertag am 4. Juli, an Weihnachten und an Thanksgiving.

Weniger im Sinne, dass dem Konsum nicht gefrönt würde; aber es gibt wenigstens irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Einkauf von Kürbissen, Truthähnen, Feuerwerk oder Tannenbäumchen, ganz wie bei uns.

Die 25-Prozent-Rabatte auf Lastwagen, TV-Geräten und Kühlschränken an all den anderen Tagen sind nicht weiter erklärbar. Ausser man sieht es als patriotische Pflicht, am Tag der Ehrung der Kriegsveteranen einen amerikanischen Truck zu kaufen.

Das ist ein bisschen unfair: Auch die Amis kennen die besinnliche Seite der Feiertage. Aber Thanksgiving war der einzige, der sich mir ähnlich präsentiert hat wie hier etwa Ostern: Man sollte zwei Tage vorher nicht verreisen wollen und sich für drei Tage mit Lebensmitteln eindecken, weil die Läden dicht sind. Ähnliches gibt es in San Francisco höchstens noch zu Weihnachten, und da geht es auch nur um einen Tag.

Der Konsum als Hauptzweck der Festtage hat sich, wie man an der schleichenden Einführung von Kürbisverzierungen und Zombieparties erkennen kann (die Einführung erfolgt vor allem in den Regalen der Grossverteiler), auch hierzulande schon ausgebreitet.

Dazu gehört auch der Valentinstag, der, man glaubt es kaum, ursprünglich ein kirchlicher Festtag war. Heute dürfte er vor allem ein Feiertag für die Floristen sein, auch wenn die im Vergleich zu den US-Retailern mit der Werbung geradezu zurückhaltend sind. Und wer nicht weiss, welche Blumen er nächsten Dienstag seiner Geliebten schenken soll: Die neuste Gattung heisst «Lovetronics». Denn «der Weg ins Herz der Frau führt auch über eine Kompaktkamera, einen iPod Nano oder eine Kaffeemaschine mit integriertem Milchaufschäumer.»

Etwa so, wie die Erinnerung an die Kriegsveteranen eben über den Kauf eines Dodge RAM 2500 Pickup-Lastwagens führt.

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