Poeten und Pointenjäger

Slam-Poetry-Veranstaltungen ziehen in Basel zuverlässig Besucher an. So auch am Gründonnerstag im «Hinterhof», wo bei einem echten Reimfeuerwerk festzustellen war, dass die lebenden von den toten Dichtern gar nicht so weit entfernt sind. Slam Poetry ist beliebt in der Stadt. Den Baslern gefällt die kurzweilige, unverstaubte Kulturveranstaltung. Slamveranstaltungen gibt es wenigstens monatlich, an Publikum fehlt […]

Slammer sind ziemlich eigene Charaktere. Koslovsky ist einer, der «dichten» literarisch auffasst.

Slam-Poetry-Veranstaltungen ziehen in Basel zuverlässig Besucher an. So auch am Gründonnerstag im «Hinterhof», wo bei einem echten Reimfeuerwerk festzustellen war, dass die lebenden von den toten Dichtern gar nicht so weit entfernt sind.

Slam Poetry ist beliebt in der Stadt. Den Baslern gefällt die kurzweilige, unverstaubte Kulturveranstaltung. Slamveranstaltungen gibt es wenigstens monatlich, an Publikum fehlt es eigentlich nie. Da kann man inzwischen schon von Tradition sprechen. Las man 2008 noch im «Connect-Cafe» an der Günpfahlgasse – da, wo sich heute der Newsroom der TagesWoche befindet – füllt das Format inzwischen auch das «Sud» und den «Hinterhof».

Spannende Dichterschlacht im «Hinterhof»

Am Gründonnerstag konnte man sich mit Bo Wimmer und Wehwalt Koslovsky, Andy Strauss, Amina Abdulkadir, Mathieu Heinz, Michael Frei und Elia Schmitter auf eine spannende Dichterschlacht freuen. Nach bester Slam-Manie wurde das Publikum im «Hinterhof» fleissig mit Wortspielen beworfen.

«Der Reim ist tot!», kreischte Wehwalt Koslovski gleich zu Beginn und dichtete sich als Agent des «Rhime Department, FBI» direkt ins Finale, was dem ersten Vortragenden an einem Poetry Slam so gut wie nie gelingt.

Da slammte aber auch nicht irgendwer. Wehwalt Koslovski, der eigentlich Frank Wesselmann heisst, ist ein Urgestein des Poetry Slam. Ob er derjenige war, der in den 1990er–Jahren den allerersten deutschsprachigen Slam gelesen hat, weiss niemand. Sicher ist, dass er seither einige hundert Slams gewonnen hat.

Kleine Penis-Philosophie von Bo Wimmer

Passend zu Ostern drehte sich textlich fast alles um Liebe und Tod. Die Liebe meist enttäuschte oder verlorene, der Tod meist überraschend. Nur bei Bo Wimmer nicht, der eine kleine Penis-Philosophie zum Besten gab. Der Grundgedanke: Wenn Frauen mit tiefem Décolleté glänzen können, warum Männer nicht auch?

Dabei ging es trotz allem locker zu. Zu viel getrunken, Text vergessen? Kein Problem, wenn die Performance stimmt. Wer übrigens Bo Wimmers Tragödie vom Huhn Ruth nicht kennt: unbedingt anschauen!

«Steigert sich das im Finale noch?», fragte ein Zuschauer in der Pause. Tat es. Bo Wimmer predigte den Dönermontag, Mich Frei nahm den Begriff «Yolo» auseinander, und Wehwalt Koslovki stahl allen die Show – ausgerechnet mit einem alten Meister.

An «die Glocke» erinnerte sich keiner – nicht mal für Gratisbier.

An die ersten Zeilen von Schillers «Glocke» mochte sich im Publikum niemand erinnern, nicht mal für ein Gratisbier. Deshalb legte der Altmeister selbst los mit «Die Pocke» und slammte sich im korrektem Versmass, rollendem «R» und Sätzen wie «Was Clerasil nicht fortgeschafft, entleert agil der Finger Kraft» durch die Hautprobleme der adoleszenten Welt. In der Publikumswertung folgte ihm dicht Andy Strauss, der mit herrlich irrem Gesichtsausdruck Hamster warf und den Zeigefinger Alice Schwarzers absägte. Rein textlich, natürlich.

Slammer sind ziemlich eigene Charaktere

Am Ende durfte Koslovsky die begehrte Whiskyflasche entgegennehmen, Gratulationen winkte er ab: «Scheisse, es geht nicht ums Gewinnen.» Slammer sind eben ziemlich eigene Charaktere. Koslovsky ist einer, der «dichten» literarisch auffasst und gut bei einem «Dead or Alive» auftreten könnte – es ist nur unklar, auf welcher Seite.

Es geht zu oft nicht mehr um Inhalte

Wie sich der Poetry Slam verändert hat im Laufe der Jahre, wollte ich nach dem Auftritt von ihm wissen. Da stand er schon mit hochgezogene Schultern und zusammengekniffenen Augen auf der «Hinterhof»-Terrasse, rauchte einen Joint und sah etwas verloren aus. «Der Slam ist tot», war die Antwort, was zum Teil auch so gemeint war. Das Format sei im Mainstream angekommen. Es ginge zu oft nicht mehr um Inhalte, nur noch um den Effekt. Die Pointenjäger sind dabei, den Slam zu übernehmen, findet er.

«Eigentlich mag ich gar nicht mehr slammen. Warum bin ich hier?» fragte er mehr sich selbst und machte sich auf Weg zur Theke, um sich einen Wodka zu holen, was seine Laune merklich aufbesserte. Den Whiskey mochte er nie, die angebrochenen Siegerflaschen tauscht er bei seinem Dealer gegen Gras ein. «Die leere Flasche stelle ich dann ins Regal», grinste er. Was nicht ganz ernst zu nehmen ist. Wer hat schon Platz für ein paar hundert Whiskyflaschen?

«Es sind noch immer Leute im Publikum, die wissen worum es geht.»

Die Schweizer Slam-Szene findet er «erstaunlich feinsinnig und manchmal sehr clever politisch». Auch wenn es ihn ärgert, dass man mit Hochdeutsch gegen Mundarttexte manchmal keine Chance hat. Und klar slammen Frauen anders. Weil jeder anders slammt.

Anschliessend hilft er einem jüngeren Slammer mit seinem Text. «Der Text ist gut, aber…», fängt er an und schwankt ein bisschen, das Glas in der Hand, den Joint noch immer im Mundwinkel. Ganz so düster sieht die Zukunft der Slam wohl doch nicht aus. Dann sagt er noch was Kluges über die alten Meister und über Kleist, den er spitze findet. «Die Welt verändern zu wollen, das habe ich aufgegeben», meinte er zum Schluss. «Aber es sind noch immer Leute im Publikum, die wissen worum es geht.»

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