Die Nationalräte zerpflückten die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dahinter verbirgt sich eine grundsätzliche Angst vor den Menschen dieses Landes.
Am Mittwoch debattierte der Nationalrat die «Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen». Die Parlamentarier überboten sich dabei mit martialischen Äusserungen: «Das ist die gefährlichste Initiative, die je eingereicht wurde», meinte Sebastian Frehner (SVP). «Eine entsicherte Handgranate in unseren Händen», sah der FDP-Nationalrat Daniel Stolz darin.
Es geht das Gespenst der Angst herum im Hause der Schweizerischen Wahlpolitiker, so scheint es. Eine riesige Gefahr für die Sicherheit, die Wirtschaft und überhaupt für die Menschen des Landes. Mit einer Granate in der Hand lässt sich nicht mehr klar denken, das steht fest. Es macht auch verständlich, warum praktisch die gesamte rechte Hälfte des Saales während der Diskussion leer war.
«Das Ende der Schweiz»
Die Argumente gegen die Initiative sind von dieser Angst gezeichnet. Wenn Gefahr lauert, macht man lieber die Tür zu und gräbt nicht weiter. Die Mitte-Parteien rufen uns Initianten zu: «Setzen Sie unseren Wohlstand nicht aufs Spiel», (Bernhard Guhl, BDP), noch drastischer klang es in den Worten von Peter Keller (SVP): «Wer das finanzieren soll, interessiert sie nicht.» Das Grundeinkommen verschlingt unser Geld, ist absolut unrealistisch und bedeutet deswegen: «Das Ende der Schweiz» (Frehner). Der Tenor der Angst war deutlich spürbar.
Woher diese Angst? An manchen Stellen der Diskussion war zu erkennen, dass die Hauptursache der Angst in der prognostizierten Faulheit der Menschen liegt. Mit einem Grundeinkommen werden die Menschen faul, so die allgemeine Befürchtung. Besonders formulierte dies Peter Keller: «Es ist eine Ohrfeige für all diejenigen, die um 6 Uhr aufstehen und arbeiten.» Die meisten Voten handelten zwar davon, dass ein Grundeinkommen eine zu grosse Finanzierungslast bedeute und deswegen faktisch gar nicht einzuführen wäre.
Was aber, wenn das Grundeinkommen eingeführt wird und die Menschen nicht mehr mitmachen, einfach faul werden?
Wenn dem so wäre, hätte die Politik ihr potentestes Merkmal, die Entscheidungsgewalt, verloren. Damit würde sie sich selbst aufgeben. Hinter vorgehaltener Hand herrscht indes Einigkeit: Die Frage ob ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar ist, ist eine Frage des politischen Willens.
Was aber, wenn das Grundeinkommen eingeführt wird und die Menschen nicht mehr mitmachen, einfach faul werden? Dann findet keine Wertschöpfung mehr statt. Dann gibt es keine Steuerneinnahmen mehr und schliesslich auch kein Grundeinkommen. Die grösste Gefahr lauert für die Politiker also in den Menschen selbst.
Machtverschiebung vom Kapital hin zur Tätigkeit
Die Freiheit zu entscheiden, wo jemand tätig werden möchte – das könnte gefährlich werden. Cédric Wermuth (SP), der das Grundeinkommen befürwortet, sagt, dass dies die ideale Ergänzung eines Sturm laufenden Neoliberalismus sei. Und Andi Gross, abtretender SP-Nationalrat, fügt hinzu: «Das Grundeinkommen ist eine Machtverschiebung vom Kapital hin zur Tätigkeit«.
Überhaupt schien die linke Saalhälfte weniger beunruhigt über die heraufbeschworene Gefahr. Das, was dort im Weg steht, ist subtiler und dennoch beunruhigend: das missverstandene Grundeinkommen. Einerseits könnte es von den Menschen als Herdprämie interpretiert werden. Oder als ein soziales Abstellgleis. Diese Irritation hat dieselbe Herkunft: Menschen, die das Grundeinkommen falsch interpretieren und es als Instrument zur Zementierung alter Rollen- und Klassenverhältnisse missbrauchen.
Bis zur Abstimmung wird zu erleben sein, ob und wie stark dieses gefährliche Volk auch Angst vor sich selbst bekommt.
Das Abstimmungsergebnis am Ende eines langen Diskussionstags war dann auch ein Spiegel der gegenwärtigen Verhältnisse im Parlament (146 zu 14 Stimmen gegen das Grundeinkommen). Gerade vor den Wahlen heisst es für die Parteien: Jetzt nur nichts anbrennen lassen oder zu weit aus dem Fenster lehnen. Das klare Verdikt des Nationalrats steht einer parallel gestarteten Umfrage im «Tages-Anzeiger» diametral entgegen. Dort sind 49 Prozent für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Dennoch: Die Debatte hat sich gelohnt. Das fand auch Bundesrat Berset: «Eine solche Debatte überhaupt führen zu können, hier im Schweizer Parlament, hat einen grossen Wert.»
Die Debatte hat der Idee und der Bewegung Grundeinkommen gut getan. Im Winter wird sich der Ständerat dazu äussern, dann sind die Bürgerinnen und Bürger am Zug. In der classe politique hat sich die Angst verdichtet und die Gefahr wurde identifiziert: die Menschen dieses Landes und die potenzielle Epidemie der Faulheit. Bis zur Abstimmung im Herbst 2016 wird zu erleben sein, ob und wie stark dieses gefährliche Volk auch Angst vor sich selbst bekommt.
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Che Wagner ist Mitträger der «Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen» und in der Geschäftsleitung der Kampagne Grundeinkommen.