Für Cristiano Ronaldo war im grossen EM-Showdown gegen Frankreich in Saint-Denis eine Hauptrolle vorgesehen. Ein Foul stoppte ihn, sein Traum wurde trotzdem wahr: Portugal gewinnt den ersten Titel!
Eder, seit Anfang Jahr leihweise in Lille engagiert, war nach seinem Tor in der Verlängerung nicht mehr zu halten. Er riss alle mit, auch den lange untröstlichen Cristiano Ronaldo. Der gefallene, aber trotzdem nicht gestürzte Held gestikulierte pausenlos, humpelte zum vierten Offiziellen, beschwerte sich. Um 23:32 Uhr tanzte er nur noch – und mit ihm der wilde portugiesische Siegerhaufen. Am Ende lag er wieder auf dem Rücken, als Champion, unter einem enthemmten Betreuer.
Rückblende, EM-Final 2004, Estadio da Lissabon. Der damals 19-jährige Cristiano Ronaldo weint hemmungslos. Er hat als Teenager gegen die Griechen seinen ersten bedeutenden Final verloren. Zwölf Jahre später liegt der Captain der «Selecção» wieder tränenüberströmt auf dem Rasen.
Dimitri Payet hat ihn in der 8. Minute am Knie verletzt. Der französische Couloir-Spieler attackierte den gegnerischen Steuermann im Stil eines rücksichtslosen Terriers. Der schwer getroffene Real-Superstar liess sich minutenlang behandeln, kehrte zurück, sank erneut auf den Rasen. Dann das deprimierende Signal: «Es geht nicht mehr.»
Ein absurdes Bild. Der neben Messi momentan global wertvollste Fussballer sitzt regungslos auf dem Feld. Eine Motte lässt sich auf seiner Stirn nieder. Der schwarze Schmetterling wirkt skurril, die Lichtgestalt nimmt das Insekt nicht wahr, zu tief und schlagartig war sie in den Schlund einer veritablen Depression gestürzt.
Wieder spielte sich in einem Endspiel mit französischer Beteiligung ein veritables persönliches Drama ab. Vor zehn Jahren verabschiedete sich Zinédine Zidane im letzten WM-Spiel seiner Karriere mit einem Kopfstoss gegen die Brust des Italieners Marco Materazzi alles andere als magisch von der globalen Fussball-Bühne.
1998 liess sich der Titelhalter Brasilien mit einem apathischen Superstar Ronaldo an der Spitze 0:3 demütigen; wenige Stunden vor dem Spiel soll der Offensivkünstler einen mysteriösen Kollaps erlitten haben.
Und nun fiel der nächste Koloss aus. Kein «coup de boule» zwar, aber zumindest ein «coup de genou». Schmerzen statt gloriose Dribblings, Ohnmacht weit abseits des Brennpunkts statt wundersame Aktionen, grenzenloser Frust bis zum spektakulären Happy End. Nach 25 Minuten war der Final ein anderes Spiel, dem Treffen der EM-Grössen fehlte der Gigant – jener Protagonist, der wie der französische Prinz Antoine Griezmann in der Lage gewesen wäre, für die eine entscheidende Nuance zu sorgen.
Auf Klubebene hat «CR7» jeden Preis abgeräumt, seit 2008 gibt es nur einen Weltfussballer des Jahres: Ronaldo oder Lionel Messi. Sein Output in Madrid ist magistral, sechsmal in Folge schoss über 50 Treffer pro Saison – seit seiner Unterschrift bei Real 364 in 348 Partien.
Die aussergewöhnliche Qualität des Stürmers aus Madeira erkannte Laszlo Bölöni, Ronaldos erster Coach in der portugiesischen Liga, schon nach zwei, drei Spielen: «Besser als Eusebio!» Mit ManU und Real erreichte Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro, was er sich vom ersten Junioren-Tag an gewünscht hatte: «Geschichte schreiben im Weltfussball.»
Nur das Beste ist genug für ihn, den exklusiven Hauptdarsteller, den egozentrischen Gewinner, den eigentlichen Galaktischen. Die höchsten Ziele verfolgte der beste Skorer des Kontinents selbstredend auch im Nationalteam. Im Kreis der Landesauswahl wirkte der nahezu stählerne Körper noch angespannter, die Brust noch aufgepumpter. Kurzum: Die Überfigur war besessen davon, die portugiesische Titelpremiere zu schaffen.
An der Seite früherer Weggefährten von Sporting war er schon jahrelang auf einer Mission und beseelt davon, den wichtigsten europäischen Gipfel zu besteigen. Dem Titelgewinn würde er (fast) alles unterordnen, sagten enge Begleiter von «CR7».
Der Plan ging im 61. und wichtigsten Spiel der Saison trotzdem auf. Payet hatte ihn gestoppt, aber die Teamkollegen lehnten sich gegen das Schicksal ihres Leaders auf. Sie stemmten sich mit allen Mitteln gegen die anstürmenden Franzosen, derweil der verletzte Hoffnungsträger mit einer dicken Bandage um das linke Knie auf der Ersatzbank ohne Ende litt.
Und als Joker Eder in der 109. mit seinem Weitschuss die auf eigenem Boden an Endrunden zuvor seit 1960 ungeschlagenen Einheimischen mitten ins Herz traf, krümmte sich Ronaldo vor Freude – nicht vor Schmerz.