Unter dem Eindruck der Fussball-Europameisterschaft hat Island am Samstag einen neuen Präsidenten gewählt. Damit auch die vielen Fussballfans wählen konnten, richtete das Innenministerium ein Wahllokal im Camp des Nationalteams in Annecy ein.
Denn viele Fussballfans waren ihrem Team nach Frankreich gefolgt. Wegen der Euphorie über den Einzug der Mannschaft ins EM-Achtelfinale rechneten Experten mit einer historisch geringen Wahlbeteiligung.
Einem Neuling wurden die besten Aussichten eingeräumt, neues Staatsoberhaupt zu werden: In Umfragen hatte der Historiker Gudni Th. Jóhannesson in den vergangenen Wochen mit weitem Abstand vorn gelegen. Wahlberechtigt waren rund 245’000 Bürger.
Nach den Enthüllungen der Panama Papers über Briefkastenfirmen in Steueroasen, die den Regierungschef zum Rücktritt gezwungen hatten, war das Vertrauen der Isländer in ihre Politiker geschwunden.
Viele Landsleute hatten Jóhannesson bestärkt, sich für den Präsidentenposten zu bewerben. Daraufhin war er schnell zum Favoriten aufgestiegen. Der Wahlkampf sei für ihn «neu und aufregend» gewesen, sagte der fünffache Vater der Nachrichtenagentur dpa.
Moderate Ansichten
Als Experte für Islands politische Geschichte, Diplomatie und die Verfassung will Johannesson seinen Landsleuten das Vertrauen in ihr Regierungssystem zurückgeben. Viele Isländer kennen den Dozenten an der Universität von Island bereits als profilierten Kommentator in den Medien. Seine Ansichten sind moderat; weder gehört er einer Partei an, noch lässt er Vorlieben für eine politische Richtung erkennen.
Seine Wahlkampf absolvierte Johannesson gemäss der isländischen Tradition: Er besuchte seine Landsleute während seiner Kampagne am Arbeitsplatz oder zu Hause, um mit ihnen zu diskutieren. «Es hat Spass gemacht. Ich war positiv überrascht, wie sehr ich es geniesse, mit den Menschen zu reden und ihnen zuzuhören», sagte er.
Politiker sind unbeliebt
Johannesson kommt es zugute, dass er ein Neuling in der Politik ist – wie in anderen Ländern sind Politiker auf der Nordatlantik-Insel zurzeit nicht besonders populär. Nach seinem Studium in Oxford und seiner Promotion an Londons Queen Mary University verbrachte er einen Grossteil seiner beruflichen Laufbahn in Hörsälen oder Bibliotheken.
In der Öffentlichkeit präsentiert er sich als normaler Familienvater, der gerne liest, joggt und Fussball spielt. Darüberhinaus hat er vier Bücher des US-Horrorautors Stephen King übersetzt.
Als Präsident will Johannesson eher «einigen als spalten» und sich ansonsten aus der Politik und den «gesellschaftlichen Debatten» heraushalten. Damit entspricht er dem Idealbild eines isländischen Staatschefs: Dieser gilt als Garant der Verfassung und der Einheit des Inselstaates und hat ansonsten hauptsächlich repräsentative Aufgaben zu erfüllen.
Neben Jóhannesson kämpfen acht andere Kandidaten um das Amt, darunter der frühere isländische Ministerpräsident Davíd Oddsson und der Schriftsteller Andri Snær Magnason. Islands Präsident Ólafur Ragnar Grímsson will nach 20 Jahren und fünf Amtszeiten nicht mehr antreten. Die Wahllokale schliessen erst um Mitternacht (MESZ). Mit einem Endergebnis wurde im Laufe der Nacht zum Sonntag gerechnet.