Die Schweizer Zeitungen bringen dem Entscheid des Bundesrates zur Anwendung der Ventilklausel zwar mehrheitlich Verständnis entgegen. Allerdings stellen sich die Kommentatoren eine Reihe von Fragen über die Konsequenzen – vor allem für das Verhältnis zur EU.
So fragt sich zum Beispiel die «Südostschweiz», «ob die Rechnung für die Schweiz langfristig aufgehen wird». Denn «es dürfte eher so sein, dass Brüssel-intern der Druck steigen wird, das kleine Nachbarland so richtig an die Kandare zu nehmen und seiner Ausnahmestellung zu berauben».
Auch der «Tagesanzeiger» glaubt, dass «der Goodwill gegenüber der Schweiz, die die Europäer zunehmend als widerspenstig empfinden», in jedem Fall weiter abnehmen wird. Und für das «St. Galler Tagblatt» war dem Bundesrat dieses «Signal an das Volk» anscheinend so wichtig, «dass er es in Kauf nimmt, mit seinem Entscheid die EU zu verärgern».
«Richtig» oder «untauglich»?
Trotzdem habe der Bundesrat «einen richtigen Entscheid» von «grosser psychologischer Bedeutung» gefällt und «Stehvermögen bewiesen», schreibt der «Tagesanzeiger» weiter. Denn «hätte der Bundesrat auf diese Bremse verzichtet, wäre er wortbrüchig geworden», mit der Folge, «dass das Volk das Vertrauen in die Regierung verliert».
Auch die Westschweizer Zeitungen «24 heures» und «Tribune de Genève» betonen, dass etwas gemacht werden musste, nur schon «der Glaubwürdigkeit wegen». Und «Le Temps» glaubt, dass der Bundesrat gar keine andere Wahl gehabt habe, als der Bevölkerung zu zeigen, «dass er ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt».
Für die «Berner Zeitung» ist dem Bundesrat aber genau das nicht gelungen. Der Entscheid sei «entlarvend halbherzig» und ein «untauglicher Versuch […], die Stimmbürger zu besänftigen, ohne die EU allzu sehr zu verärgern».
Die Glaubwürdigkeit werde nicht gestärkt, «indem der Bundesrat gerade mal so viel tue, um dem Vorwurf zu entgehen, er halte seine im Abstimmungskampf abgegebenen Versprechen nicht», schreibt die «Berner Zeitung» weiter. Für den «Quotidien Jurassien» sendet die Regierung ausserdem das Signal an die Bevölkerung, «dass es in der Tat ein Problem mit der Personenfreizügigkeit gibt».
«Symbolische Wirkung»
Einig sind sich die Kommentatoren über die weithgehend «symbolische Wirkung» des Entscheides. Denn «es waren und sind gerade nicht die Bürgerinnen und Bürger dieser Staaten, die zu Zehntausenden in die Schweiz einwanderten und einwandern», schreibt dazu das «St. Galler Tagblatt».
«Rein kosmetisch» sei die Massnahme, schreibt «Le Temps». Als «Aktivismus, der ohne Zweifel sein Ziel nicht erreichen wird», bezeichnen «24 Heures» und «Tribune de Genève» den Entscheid. Und auch für den «Quotidien Jurassien» wird er «in der Praxis keine grossen Auswirkungen» haben.
Die «Neue Zürcher Zeitung» hingegen betont, dass «alle vorhandenen, je für sich nicht entscheidenden Steuerungsinstrumente ernst zu nehmen sind». Denn «einige tausend Zuzüger plus Familien mehr oder weniger bedeuten zum Beispiel auch einige tausend zusätzliche Wohnungen mehr oder weniger».
Und deshalb wünscht sich die «NZZ» in Zukunft einen «ehrlichen Blick auf die komplexen Zusammenhänge zwischen Migration, Wohlstand und Umwelt-Verbrach, kultureller Vielfalt und Problemen gesellschaftlicher Integration».