Nachdem das oberste Gericht Brasilien Ermittlungen gegen Präsident Michel Temer genehmigt hat, ist es am Donnerstag im ganzen Land zu Massendemonstrationen gekommen. Temer will aber nicht zurücktreten.
Nach Enthüllungen um Schweigegeldzahlungen und eine Behinderung von Justizermittlungen in einem Korruptionsskandal bangt der Präsident um sein Amt. Zwar sagte Temer nach mehreren Krisensitzungen in Brasilia, er habe das Schweigen von niemandem erkauft. Aber mehrere Minister kündigten die Gefolgschaft, der Oberste Gerichtshof ermittelt gegen ihn und es gibt mehrere Anträge für ein Amtsenthebungsverfahren.
Im ganzen Land forderten hunderttausende Demonstranten Temers Rücktritt. In Rio de Janeiro kam es zu schweren Ausschreitungen. Die Börse in São Paulo brach zeitweise um über zehn Prozent ein, erstmals seit 2008 musste der Handel ausgesetzt werden. Der Dollar gewann stark an Wert im Vergleich zur Landeswährung Real.
Das politische Beben trifft die neuntgrösste Volkswirtschaft der Welt in einer Phase, als man langsam aus der bisher tiefsten Rezession wieder herauskommt. Nun droht eine wochen- oder monatelange Lähmung mit vielen Ermittlungen.
Grünes Licht für Schweigegeld-Zahlungen
Temer stolperte über einen Mitschnitt eines Treffens mit einem Unternehmer. Dieser machte einen Mitschnitt, der nun den Medien zugespielt wurde. Anfang März traf sich der 76-Jährige mit Joesley Batista – ihm gehört der grösste Fleischkonzern der Welt, JBS.
Gegen JBS wird auch in dem Skandal ermittelt. Temer soll grünes Licht gegeben haben, den inhaftierten Ex-Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha mit Geldzahlungen zum Schweigen zu bringen. «Man muss das aufrechterhalten, ok?», fragt er im Mitschnitt und betont, es dürfe nicht nach einer Behinderung der Justizarbeit aussehen. Aber zugleich geht keine Aufforderung Temers daraus hervor, Geld zu zahlen, aber er scheint das Ganze zu billigen.
Cunha war im vergangenen Jahr der Annahme von Schmiergeldern in Millionenhöhe überführt worden, sitzt im Gefängnis und hat viel brisantes Wissen über den ganzen Skandal.
Batista, der sich inzwischen in New York befinden soll, hatte die Aufnahmen einem Richter am Obersten Gerichtshof überreicht. Viele Unternehmer in dem Skandal versuchen durch eine Zusammenarbeit mit der Justiz für sie strafmildernde «Deals» auszuhandeln. In einem Brief teilte Batista mit, es gehe darum, die staatliche Korruption zu besiegen.
Mehrere Rücktritte
Mehrere Minister erklärten ihren Rücktritt – nun kommt es darauf an, ob der wichtigste Koalitionspartner, die Sozialdemokraten (PSDB), in der Regierung bleibt. Temers Ablehnung eines Rücktritts erfolgte, bevor das ganze Land Kenntnis von den Aufnahmen erlangte.
Tritt er nicht zurück, scheint ein weiteres Amtsenthebungsverfahren unausweichlich. Temer war erst von einem Jahr als Vizepräsident von Dilma Rousseff an die Macht gekommen. Er hatte mit ihr gebrochen, ein Bündnis mit der Opposition geschmiedet und so die nötigen Mehrheiten für die umstrittene Absetzung der linken Politikerin erreicht.
Zusätzlich belastend waren Filmaufnahmen, auf denen der Abgeordnete Rodrigo Rocha Loures von Temers Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) einen Geldkoffer mit 500’000 Reais (rund 160’000 Franken) entgegennahm – er soll mit dem Lösen der Cunha-Angelegenheit beauftragt worden sein. Das Geld soll von Batista stammen. Loures droht eine Haftstrafe.
Kommentatoren sprachen von einer «Atombombe». Temers Beliebtheit war zuletzt auf neun Prozent gesunken. Nach Umfragen gilt bei Neuwahlen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei als Favorit – aber auch gegen ihn laufen Korruptionsermittlungen.