Die 25-jährige Haftstrafe für einen Abgeordneten der grössten türksichen Oppositionspartei CHP wegen Geheimnisverrats hat im Land wütende Proteste ausgelöst. Anhänger der CHP und deren Unterstützer starteten am Donnerstag in der Hauptstadt Ankara einen Protestmarsch.
Der Protestzug soll bis in die mehr als 400 Kilometer entfernte Millionenmetropole Istanbul führen. «Wir sagen: Es reicht. Deswegen beginnen wir diesen Marsch», sagte der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu vor Aufbruch im Güvenpark in Ankara, wo nach Angaben der Partei Tausende demonstrierten. «Wir wollen nicht in einem Land leben, wo es keine Gerechtigkeit gibt.»
Kilicdaroglu führte den Demonstrationszug am Donnerstag in Anzug und Turnschuhen an und hielt ein Schild hoch mit der Aufschrift «adalet» (Gerechtigkeit). Die Demonstranten wollen jeden Tag rund 20 Kilometer zurücklegen und den Protest am Istanbuler Gefängnis Maltepe beenden, wo Berberoglu inhaftiert ist. Der Marsch soll etwa 23 Tage lang dauern.
In Istanbul versammelten sich ebenfalls Demonstranten im zentralen Macka-Park und vor dem Gerichtsgebäude Caglayan, wie auf Bildern zu sehen war.
Verhaftung trotz Rekurs
Der Oppositionsabgeordnete Enis Berberoglu war am Mittwoch in Istanbul wegen Geheimnisverrats zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Er wurde beschuldigt, geheime Informationen, die türkische Waffenlieferungen an radikale Islamisten in Syrien belegen sollen, an die regierunskritische Zeitung «Cumhuriyet» weitergegeben zu haben. Diese publizierte das brisante Bild- und Videomaterial im Mai 2015.
Obwohl Berberoglu nach Angaben der Partei Berufung einlegte, wurde er nach dem Urteil verhaftet. Den Einspruch der Anwälte gegen den Haftbefehl lehnte ein Gericht in Istanbul nach Angaben des Senders CNN Türk am Donnerstag ab.
CHP-Fraktionschef Engin Altay sprach nach dem Urteil gegen Berberoglu von «Staatstyrannei» gegen seine Partei. Er beschuldigte die Richter am Mittwoch, sie hätten Präsident Recep Tayyip Erdogan gefällig sein wollen. Das Urteil solle die Opposition abschrecken.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen nannte die Gerichtsentscheidung «skandalös» und forderte eine sofortige Aufhebung des Urteils.
Enthüllung mit Folgen
Für die brisanten Veröffentlichungen in der «Cumhuriyet» waren der ehemalige Chefredaktor der Zeitung, Can Dündar, und der Hauptstadtbüroleiter, Erdem Gül, wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dündar lebt im Exil in Deutschland. Gül ist weiterhin auf freiem Fuss.
Berberoglu gehört zu mehr als 130 Parlamentariern, deren Immunität im vergangenen Jahr – mit Zustimmung der CHP – aufgehoben worden war. Von 2009 bis 2014 war er Chefredaktor der Zeitung «Hürriyet». Auch gegen zahlreiche Abgeordnete der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP laufen Verfahren, zehn HDP-Parlamentarier sitzen wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft.