Nach einjähriger Unterbrechung ist der Prozess um einen der grössten Arzneimittelskandale in der Geschichte Frankreichs wieder aufgenommen worden. Vor einem Gericht in Nanterre bei Paris erschien am Dienstag der angeklagte Gründer des französischen Pharmakonzerns Servier.
Der heute 91-jähriger Jacques Servier muss sich wegen schweren Betrugs im Zusammenhang mit dem Diabetes-Medikament Mediator verantworten.
Zusammen mit Servier sind vier frühere Führungskräfte des Konzerns angeklagt. Rund 700 Betroffene treten in dem Prozess als Zivilkläger auf und hoffen auf Entschädigung.
Laut Schätzungen starben in Frankreich zwischen 500 und 2000 Menschen an den Folgen der Einnahme von Mediator. Dieses war das als Mittel zum Abnehmen auch bei Nicht-Diabetikern weit verbreitet und kann zu einer Verdickung der Herzklappen führen.
Rund fünf Millionen Menschen sollen das Medikament eingenommen haben, bis es Ende 2009 in Frankreich vom Markt genommen wurde. Die Angeklagten sollen die Nebenwirkungen des Medikaments gekannt und verheimlicht haben. Ihnen drohen bis zu vier Jahre Haft.
Zweites Verfahren in Paris
Der Prozess in Nanterre hatte eigentlich bereits vor einem Jahr begonnen. Er wurde aber kurz nach Prozessauftakt ausgesetzt, weil Serviers Anwälte die Verfassungsmässigkeit des Verfahrens anzweifelten.
Denn parallel zu dem Prozess in Nanterre laufen gegen Servier und weitere Beschuldigte Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Paris, die inzwischen von Untersuchungsrichtern übernommen wurden. Zu der Doppelung kam es, weil die Mediator-Opfer über einen vereinfachten Verfahrensweg einen raschen Prozess anstrengten, bei dem keine Ermittlungen von Staatsanwälten oder Untersuchungsrichtern notwendig sind.
Im August wies Frankreichs Oberster Gerichtshof den Antrag von Serviers Anwälten zurück und machte somit den Weg frei für eine Wiederaufnahme des Prozesses in Nanterre. Dieser ist bis Mitte Juni angesetzt.
Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung
Allerdings dürften Serviers Anwälte erneut versuchen, eine Aussetzung des Prozesses zu erreichen. Auch mehrere Opferanwälte halten es für sinnvoll, das Ergebnis der Pariser Ermittlungen abzuwarten.
Die Pariser Untersuchungsrichter ermitteln gegen Servier inzwischen nicht mehr nur wegen Betrugs und Täuschung, sondern auch wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung.
In dem Mediator-Skandal ist auch die französische Arzneimittelaufsicht unter Beschuss geraten. Eine französische Kontrollbehörde attestierte ihr 2011 «schweres Versagen».
In der Schweiz wurde das Medikament gemäss Swissmedic bereits im Jahr 1998 vom Markt genommen. Die schweizerische Arzneimittelbehörde hatte sich besorgt gezeigt über die «Ähnlichkeiten» von Benfluorex mit den Inhaltsstoffen von gewöhnlichen Schlankmacher-Pillen.