Psychiater erkennt Tatvorsatz und empfiehlt stationäre Massnahme

Für die 39-jährige Frau, die 1999 ihr Baby und 2007 ihre siebenjährigen Zwillinge getötet hat, empfiehlt der Gerichtspsychiater eine stationäre Massnahme. Er attestiert der Frau aber keine verminderte Schuldfähigkeit.

Blick auf das Horgener Bezirksgericht (Archiv) (Bild: sda)

Für die 39-jährige Frau, die 1999 ihr Baby und 2007 ihre siebenjährigen Zwillinge getötet hat, empfiehlt der Gerichtspsychiater eine stationäre Massnahme. Er attestiert der Frau aber keine verminderte Schuldfähigkeit.

Der Psychiater Frank Urbaniok sagte am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Horgen ZH, die Beschuldigte habe bewusst und willentlich getötet.

Nach den Geständnissen von vergangener Woche erbrachten Delikt-Rekonstruktionen mit speziellen psychiatrischen Methoden erstmals in all den Jahren Erkenntnisse über die Gefühle der Täterin.

Hohe Rückfallgefahr

Sie habe Wut und Eifersucht auf die Zwillinge empfunden, sagte sie. Die Kinder seien von ihren Grosseltern, den Eltern der Frau, sehr viel besser behandelt worden, als sie selbst früher. Sie hätten ihnen Dinge geschenkt, die sie selbst nie erhalten habe.

Laut Urbaniok ist bei der schweren Persönlichkeitsstörung der Beschuldigten und der hohen Rückfallgefahr eine langjährige, sehr intensive Therapie nötig. Diese könnte im Massnahmenzentrum der Frauenstrafanstalt Hindelbank durchgeführt werden.

Die Ausführungen des Gutachters brachten Licht in die Hintergründe der Taten. Die Persönlichkeit der Frau ist geprägt von mehreren Faktoren. Erstens nimmt sie die Umwelt als eher feindlich gesinnt und bedrohlich wahr.

Zweitens weist sie zwanghafte Persönlichkeitszüge auf: Alles muss einer bestimmten Ordnung entsprechen, sie selbst muss perfekt funktionieren, um diese Ordnung kontrollieren und aufrechterhalten zu können. Und drittens stellte der Gutachter einen instabilen Realitätsbezug fest: Realität, Wahrnehmung und Gefühle hängen nicht zusammen. Sie sind frei austauschbar.

Innere Instanz fehlt

Gerät die Frau in Situationen der Überforderung, in denen ihre Ordnung und die Möglichkeit, perfekt zu sein, gefährdet sind, greift ihre zwanghafte Tendenz zu abrupten Abbrüchen. Solche Situationen gingen 1999 und 2007 den Tötungsdelikten voraus.

Bei der Suche nach Auswegen können ausgefallene Gedanken aufkommen. Solche können durchaus auch anderen Menschen einmal einfallen, werden von diesen aber als abstrus verworfen – so etwa, dass alles einfacher wäre, wenn die Kinder nicht mehr da wären.

Weil nun aufgrund des Durcheinanders von Realität, Gedanken und Gefühlen der Beschuldigten eine innere Instanz fehlt, die Stopp ruft, kann die Idee bei ihr zur konkreten Möglichkeit werden. Und wenn die Umsetzung erst einmal begonnen hat, muss sie auch – eine Folge der Zwangsstörungen – zu Ende gebracht werden.

Geständnisse nach jahrelangem Leugnen

Die Angeschuldigte hatte am vergangenen Mittwoch nach jahrelangem Leugnen zugegeben, in der Nacht auf Heiligabend 2007 ihre siebenjährigen Zwillinge in deren Betten erstickt zu haben.

Im Sommer 1999 habe sie zudem ihrem erstgeborenen Kind, einem sieben Wochen alten Töchterchen, das häufig geschrien habe, den Mund zugehalten, bis es still gewesen sei. Dieser Tod war ihr zuvor nicht angelastet worden. Man hatte plötzlichen Kindstod angenommen.

Im März 2010 hatte das Geschworenengericht die Frau wegen mehrfachen Mordes (an ihren Zwillingen) zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Wegen ungenügender Verteidigung wies das Kassationsgericht den Fall zur Neubeurteilung zurück. Weil das Geschworenengericht inzwischen abgeschafft ist, wird er vom Bezirksgericht Horgen neu aufgerollt.

Die Beschuldigte wird am Donnerstagnachmittag nochmals befragt. Die Plädoyers der Parteien folgen am 22. Januar. Zusätzlich zum ersten Prozess beantragt der Staatsanwalt nun auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung (des Babys). Zum Strafmass liegen bisher keine Anträge vor. Das Urteil des Bezirksgerichts Horgen wird am 29. Januar erwartet.

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