Ein Grüner für die Wehrpflicht, ein bürgerlicher Militärdirektor dagegen. Leser Martin Leschhorn Strebel über die uralten Mythen der Schweizer Armee.
Die unerwarteten Positionsbezüge eines grünen Baselbieter Regierungsrates gegen die Abschaffung der Wehrpflicht und eines freisinnigen Regierungsrates aus dem Kanton Basel-Stadt für die Initiative hauchen der Abstimmungsdebatte zum richtigen Zeitpunkt Leben ein. Dass sich Regierungsrat Baschi Dürr für die Abschaffung ausspricht, macht vor allem deutlich, dass es bei der Vorlage eben nicht um eine verkappte Armeeabschaffungsinitiative geht, wie dies die Bürgerlichen in ihrem Anti-GSoA-Reflex uns gerne glauben lassen wollen.
Regierungsrat Isaac Rebers ablehnende Haltung und Argumentationen überraschen mich nicht wirklich. Sie entsprechen verschiedenen Wehrpflichtmythen, die auch auf linker Seite gerne gepflegt werden und wohl teilweise ihre historischen Wurzeln in der französischen Revolution und der damals proklamierten Bürgerarmee haben. Der Bürger an der Waffe verspreche eine zivilisiertere Armee. In der jetzigen Debatte wird deshalb bei einer Annahme der Initiative vor einer Rambo-Armee gewarnt.
Bloss nicht denken
Selbst glaubte ich auch daran: Obwohl friedenspolitisch engagiert habe ich 1991 die Rekrutenschule gemacht. Und die Bilanz war ernüchternd: Das Ziel der militärischen Ausbildung war und ist es auch in jeder Armee weltweit und in der Schweiz, Soldaten in der Ausübung von Gewalt zu trainieren und zu funktionierenden Instrumenten der militärischen Führung zu machen. Der Bürger als mitdenkender, sich gegen durch andere Soldaten ausgeübtes Unrecht zur Wehr setzender Demokrat ist ein Mythos, der offenbar bis heute auch in fortschrittlichen Kreisen auf Widerhall stösst.
Ich habe wie Baschi Dürr meine persönlichen Konsequenzen gezogen und den Dienst verweigert, was damals noch mit einem Gang vor das Militärgericht verbunden war. In den folgenden Jahren habe ich mich etwa in Zusammenhang mit den Kriegen auf dem Balkan und später beruflich beim Service Civil International mit den Folgen von Militarismus, mit Gewaltprävention und friedenspolitischen Ansätzen auseinandergesetzt. Und meine Schlüsse sind klar: Ob eine Armee zivilisierter oder brutaler, jenseits von Menschenrechten, dem Völkerrecht oder auch dem Strafgesetz agiert, hat nichts damit zu tun, ob sie sich durch ein Wehrpflichtssystem zusammensetzt oder nicht.
Was tatsächlich entscheidend ist
Es gibt – und dies lehrt uns die jüngste Geschichte – nur drei Faktoren, welche Armeen einigermassen zivilisieren können:
- Eine starke Zivilgesellschaft und unabhängige Medien, welche Missbräuche durch Armeeangehörige ans Licht zerren können. Deshalb ist Demokratie eine Voraussetzung für eine zivilisierter agierende Armee.
- Demokratische Institutionen, die der Armee vorgesetzt sind. Dazu gehört das Parlament und ihre Kommissionen, welche die eigene Armee nicht mythologisieren sondern kontrollieren. Dazu gehört aber auch eine unabhängige Justiz. Die Militärjustiz hat in einem demokratischen Rechtsstaat deshalb nichts zu suchen.
- Ein Völkerrecht, dem durch internationale Strafbehörden Nachachtung verschafft werden kann.
Der grüne Regierungsrat Reber bringt noch ein anderes Element gegen die Abschaffung der Wehrpflicht ins Spiel, das ich ebenso von Linken schon verschiedentlich gehört habe. Die Pflicht etwas für diesen Staat zu tun, sei eigentlich richtig. Die Wehrpflicht bilde der Kern, der sich zu einem obligatorischen Gemeinschaftsdienst weiterentwickeln liesse.
Ein totalitärer Ansatz
Ein solches Gemeinschaftsdienstmodell, das sich am autoritären Wehrpflichtssystem orientiert, ist höchst fragwürdig. Wir können nicht die Folgen einer falschen Ausbildungspolitik und Arbeitsplatzpolitik im Gesundheitswesen mit einem obligatorischen Gemeinschaftsdienst auffangen, wie dies offenbar Isaac Reber vorschwebt. Ausserdem würde dann der Staat definieren, welche Pflicht an der Gemeinschaft sinnvoll ist und welche nicht.
Ist die Alterspflege eine ehrwürdigere Aufgabe, aber etwa das Engagement für Sans-Papiers nicht? Wer definiert, welches Engagement gegen welches ausgespielt werden darf? In einem freiheitlichen Staat hat eine autoritäre Dienstpflicht nichts verloren. Stattdessen muss der Staat Rahmenbedingungen setzen, die das freiwillige gesellschaftliche Engagement honorieren und stärken. Der durch die Initiative vorgeschlagene freiwillige Zivildienst ist auf jeden Fall ein gangbarer Weg.
Etwas mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit
Zweiflerinnen und Zweiflern der Wehrpflichtabschaffung möchte ich abschliessend ans Herz legen, den vorgeschlagenen Verfassungstext mit dem bisherigen zu vergleichen. Heute heisst es: «Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten.» In Zukunft soll es heissen: «Niemand kann verpflichtet werden, Militärdienst zu leisten.» Mit der Annahme der Initiative machen wir unsere Verfassung nicht anti-militaristischer, aber ein gutes Stück gerechter und menschlicher.