Rund 85 Jahre nach seiner Entdeckung bekommt die Menschheit wohl endlich eine Nahaufnahme von Pluto. Eine seit mehr als neun Jahren reisende Sonde soll am Dienstag so nah an dem Zwergplaneten vorbeirasen wie noch nie ein Flugkörper – und viele Rätsel lösen.
Als «New Horizons» losflog, war Pluto noch ein Planet. Im Januar 2006 startete die NASA-Sonde vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida, sieben Monate später degradierte die Internationale Astronomische Union (IAU) den vergleichsweise kleinen Pluto – benannt nach dem römischen Gott der Unterwelt – zum Zwergplaneten.
Eigentlich hatte die US-Raumfahrtbehörde mit der rund 700 Millionen Dollar teuren Mission die Ersterkundung aller neun Planeten abschliessen wollen, jetzt waren es plötzlich nur noch acht. Trotzdem gilt der erste Besuch eines irdischen Flugkörpers bei Pluto und seinen fünf Monden als Meilenstein der Raumfahrtgeschichte.
Annäherung auf 12’000 Kilometer
Seit mehr als neun Jahren ist «New Horizons» (Neue Horizonte) unterwegs, hat rund fünf Milliarden Kilometer zurückgelegt und ist an Mars, Saturn, Uranus, Jupiter und Neptun vorbeigeflogen, bevor nun endlich das mit Spannung erwartete Ziel der langen Reise ansteht.
Auf rund 12’000 Kilometer soll sich «New Horizons» dem Pluto nähern und ihn mit seinen sieben wissenschaftlichen Instrumenten untersuchen. Wenn man aus dieser Distanz auf Manhattan schauen würde, sagte Missionsleiter Alan Stern der «New York Times», könnte man die Seen im Central Park ausmachen.
Weil die etwa Konzertflügel-grosse und rund 500 Kilogramm schwere Sonde mit rund 50’000 Kilometer pro Stunde unterwegs ist, könnte schon ein Zusammenstoss mit einem Objekt so klein wie ein Reiskorn das ganze Vorhaben zu Fall bringen. Vor wenigen Tagen gab es dann auch noch einen technischen Fehler, den die NASA aber wieder beheben konnte.
Archäologie im Weltraum
So lang die Reise war, so kurz ist dann ihr eigentlicher Höhepunkt: Nur etwa zwei Tage hat die Sonde rund um den Vorbeiflug Zeit, um gute Fotos und Messungen von Pluto zu machen. Für das erlösende Signal, das den erfolgreichen Vorbeiflug bestätigt, hat die NASA ein kleines Zeitfenster gegen 03.00 Uhr in der Nacht zum Mittwoch eingebaut.
Die Erforschung des 1930 von dem US-Amerikaner Clyde Tombaugh entdeckten Zwergplaneten sei «wie ein archäologischer Spatenstich in die Geschichte des äusseren Solarsystems», hatte Stern schon beim Start der Sonde gesagt. Der etwa minus 230 Grad kalte Pluto ist eine Art Eiszwerg, wie sie zu Zigtausenden bei der Entstehung des Sonnensystems übrig geblieben sind und seitdem den sogenannten Kuipergürtel bilden.
Bislang haben Forscher nur fragmentarisches Wissen über Pluto, das vor allem von Bildern des Hubble-Weltraumteleskops stammt. Für Planetenforscher sei der Eiszwerg «eine noch fast unbekannte Welt», sagt Tilman Spohn, Direktor des Berliner Instituts für Planetenforschung.
Karte von Pluto
Die ersten, noch verschwommenen Fotos, die «New Horizons» lieferte, haben unendlich viele neue Fragen aufgeworfen. So nahm die Kamera entlang des Pluto-Äquators eine Reihe mysteriöser dunkler Flecken auf, alle mit einem Durchmesser von rund 480 Kilometern und gleichmässig in der Region verteilt.
Solche Flecken haben Astronomen noch nie beobachtet. «Das ist wirklich ein Rätsel», sagte Stern. Zudem zeigen die Bilder, dass der Plutomond Charon im Gegensatz zu Pluto selbst «dunkel und grau» ist, wie Stern erläutert. Auch darauf können sich die Forscher noch keinen Reim machen.
Der Vorbeiflug der Sonde soll den Winzling, der mit einem Durchmesser von etwa 2300 Kilometern kleiner als der Erdenmond (3500 Kilometer) ist, erstmals kartographieren und – so hoffen Wissenschaftler – viele Jahrzehnte alte Rätsel lösen. Ob es auf dem Pluto schneit, beispielsweise. Oder ob in seinem Eiskern ein Ozean versteckt liegt.
Nach dem Pluto-Besuch soll «New Horizons», die unter anderem zwei US-Münzen und einen kleinen Haufen Asche des 1997 gestorbenen Pluto-Entdeckers Tombaugh an Bord hat, noch tiefer in den Kuipergürtel hineinfliegen. Wie und wohin genau, beraten die NASA-Wissenschaftler noch.
Alan Stern ist bereits jetzt sicher: Die Erforschung des Pluto-Systems werde «beispiellose wissenschaftliche Folgen» haben – Erfolge, die am ehesten vergleichbar seien mit denjenigen der legendären «Voyager»-Raumschiffe in den 80er Jahren.