Die Reform der Altersvorsorge könnte in der Frühjahrssession in einem Scherbenhaufen enden. Einen Ausweg aus der verfahrenen Situation müsste aus der politischen Mitte heraus gefunden werden. Doch dort bewegt sich nichts: Die roten Linien sind gezogen.
Den dicksten Strich markiert der AHV-Zuschlag von 70 Franken. Damit wollen SP und CVP die Rentenausfälle kompensieren, die bei der Senkung des Umwandlungssatzes entstehen. Im Ständerat haben sich die beiden Parteien durchgesetzt, im Nationalrat beissen sie auf Granit. Immer deutlicher zeichnet sich nun ab, dass der Ausgleich der ganzen Vorlage den Todesstoss versetzen könnte.
Für die SVP ist der Zuschlag ohnehin unverdaulich. Auf Anfrage geben sich ihre Vertreter zwar zurückhaltend und verweisen auf die Schlussrunde der Debatte in der Frühlingssession. Doch die Fraktion liess bisher keinen Zweifel daran, dass sie den Zuschlag unter keinen Umständen akzeptieren würde.
Damit kommt es auf die Mitte-Parteien an. FDP-Vertreter sehen im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda keinen Spielraum. Für den Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler sind die 70 Franken eine rote Linie. Gleich äussert sich die St. Galler FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter: «Der Preis für eine solche Reform wäre zu hoch», erklärte sie.
Keine Bewegung
Dabei ist in anderen Punkten durchaus Kompromissbereitschaft vorhanden. Ansätze sieht Keller-Sutter in den aktuellen Vorschlägen der Nationalratskommission. Diese Variante kostet weniger, die Lösung für die Übergangsgeneration sei besser, sagte sie. Vom erleichterten Altersrücktritt für tiefe Einkommen mit langer Beitragsdauer und der Abschaffung des Koordinationsabzugs würden vor allem Frauen profitieren.
«Ich werde bei der Kompensation dem Nationalrat folgen», erklärte Keller-Sutter. Dafür müsste der Nationalrat alle anderen Positionen aufgeben – auch den Interventionsmechanismus mit automatischer Rentenalter-Erhöhung. Allerdings ist Keller-Sutter skeptisch, ob die CVP auf eine solche Lösung einsteigen wird. «Die CVP hat sich bislang nicht bewegt und ist von der Rentenerhöhung um 70 Franken nicht abgerückt.»
CVP-Nationalrätin Ruth Humbel (AG) bestätigt diese Einschätzung. Sie macht eine politische Rechnung: Ohne die 70 Franken sei für die Linke offenbar keine Reform möglich, sagte sie. «Und ich bin überzeugt, dass man gegen die geballte Linke keine Reform der Altersvorsorge durchbringen kann.»
Diese am AHV-Zuschlag scheitern zu lassen, wäre laut Humbel verantwortungslos. «Das teuerste, was passieren kann, ist gar keine Reform.» Doch die Stimmen von SP und CVP reichen nicht, um den Absturz zu verhindern.
Weiterer Stellungskrieg
Ein weiterer Stellungskrieg tobt um die Mehrwertsteuer. Für den Ständerat ist eine Erhöhung um weniger als 1 Prozent inakzeptabel, weil sonst umgehend eine neue Reform nötig wird. Der Nationalrat hat bisher aber nur zusätzlichen 0,6 Prozent zugestimmt.
Gewerbeverbands-Direktor Bigler sieht in dieser Frage wenig Verhandlungsspielraum. Doch 1 Prozent sei ganz klar zu viel für das Gewerbe, sagte er. «Wir wollen eine Reform, aber nicht um jeden Preis.» Ob es deswegen zum Absturz kommt, lässt Bigler offen. «Am Schluss machen wir eine Gesamtbeurteilung.»
Entscheid in der Einigungskonferenz
Am Schluss – in der Schlussabstimmung am letzten Tag der Frühjahrsession – werden die Räte mit grösster Wahrscheinlichkeit über einen Kompromissvorschlag der Einigungskonferenz abstimmen. In diesem Gremium hat die Mitte-Links-Koalition die Mehrheit, die für den AHV-Zuschlag und eine substanzielle Mehrwertsteuererhöhung kämpft.
Im Nationalrat würden wohl wenige Stimmen den Unterschied machen und damit über das Schicksal der ganzen Reform entscheiden. Humbel glaubt, dass einzelne Enthaltungen den Ausschlag geben könnten. Die Bauern beispielsweise hätten sehr wohl Interesse an einem AHV-Zuschlag.
Allerdings müssten dann auch die kleineren Fraktionen im bürgerlichen Lager mitspielen. Die haben sich bisher gegen die 70 Franken ausgesprochen. Die Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy macht keine Prognose, wie sich die GLP in der Schlussabstimmung zu einer Vorlage mit einem AHV-Zuschlag stellen würde. «Aber es wäre eine schlechte Reform, weil sie nichts an den strukturellen Problemen ändert, sondern diese sogar noch verschärft», sagte sie.
«Absolut katastrophal»
Geht die Vorlage bachab, ächzen die Pensionskassen weiter unter dem geltenden Umwandlungssatz. Schon heute werden 6 bis 8 Milliarden Franken pro Jahr von den Erwerbstätigen zu den Rentnern umverteilt, wie die UBS-Ökonomin Veronica Weisser erklärte. Ein Scheitern sei daher «absolut katastrophal».
Doch andererseits ist der Preis einer AHV-Erhöhung ihrer Meinung nach einfach zu hoch. Auch die Expertin schliesst daher nicht aus, dass die Reform scheitert. Unter Politikern werde diese Option inzwischen offenbar ernsthaft in Erwägung gezogen, sagte sie.
Eine Möglichkeit, den gordischen Knoten zu durchschlagen, sieht Weisser in der Beschränkung der Reform auf die zweite Säule. Die Erfahrung früherer Reformversuche lehrt aber, dass es dafür keine Mehrheiten gibt. Nun zeichnet sich ab, dass der politische Wille auch für eine Paketlösung nicht genügen könnte.