Das zweite Programm des Bundes zur Beseitigung von Engpässen auf den Nationalstrassen sorgt bei Auto- und Lastwagenlobby und in einigen Kantonen für rote Köpfe. Erleichtert ist, wer vom Geld profitiert; erzürnt ist, wer zurückgestuft worden ist.
In einem ersten Programm im Jahr 2009 genehmigte der Bund rund 1,4 Milliarden Franken für Sechsspur-Ausbauten zwischen Härkingen SO und Wiggertal AG, Blegi ZG und Rütihof LU sowie auf der Nordumfahrung Zürich. Gleichzeitig flossen Gelder in die Engpassbeseitigung in Crissier VD.
Zudem wurden weitere Engpässe definiert und vier Modulen zugeteilt. Diese erhielten unterschiedliche Prioritäten, und nur Strecken in den ersten beiden Modulen sollen auch tatsächlich ausgebaut werden. Dafür stehen dem Bund aus dem Infrastrukturfonds 5,5 Milliarden Franken zur Verfügung.
In seinem zweiten Programm schlägt der Bundesrat nun Erweiterungen zwischen Meyrin/Vernier und Le Vengeron GE, Luterbach und Härkingen SO sowie Andelfingen und Winterthur ZH vor. Kostenpunkt: 995 Millionen Franken. Gleichzeitig wurden neue Engpässe definiert, bestehende Engpässe vorgezogen oder aber zurückgestuft.
Verbreitet Unverständnis
Obwohl sich die Konferenz der kantonalen Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren (BPUK) nicht zu Details äussert, findet sie klare Worte: «Vorgenommene Rückstufungen aus dem Modul 2 trotz grossem Problemdruck können wir nicht nachvollziehen», schreiben sie in ihrer Vernehmlassungsantwort an das Bundesamt für Strassen (ASTRA).
Mit den vorgesehenen Massnahmen könnten «lediglich die gravierendsten Engpässe» behoben werden, nur «ein bescheidener Prozentsatz». Die BPUK sieht dringenden Handlungsbedarf und befürchtet bei Verzug «gravierende Auswirkungen auf die schweizerische Volkswirtschaft».
Von der Rückstufung betroffen ist einzig die Stadt Bern. Im Bericht für die Vernehmlassung werden die Projekte entweder als zu teuer bezeichnet oder als politisch nicht mehrheitsfähig. «Zudem weist die Region Bern eine deutlich geringere Dynamik in der Siedlungsentwicklung auf als der Raum Genf.» Wegen der Regierungsratsferien nimmt Bern jedoch erst Mitte August Stellung zum Programm.
Unzufrieden ist auch der Kanton Aargau: Er wehrt sich dagegen, dass der Ausbau der A1 auf sechs Spuren zwischen Aarau Ost und Birrfeld nicht höchste Priorität hat. Ins gleiche Horn stossen auch andere Kantone, die Engpässe auf ihren Strassen lieber früher als später behoben sehen möchten.
Gerangel um das Geld
Der Kanton Freiburg, der gemäss Programm nicht betroffen ist, wendet ein, dass die Beseitigung eines Engpasses zum nächsten Engpass führen kann. Genau dies befürchtet Zürich: Mit dem Ausbau der A4 zwischen Andelfingen und Winterthur steige der Verkehrsdruck auf die A1, Umfahrung Winterthur, hält der Zürcher Regierungsrat fest.
Der Engpassbeseitigung sind jedoch finanzielle Grenzen gesetzt. Kommt hinzu, dass der Bund mit dem Bundesbeschluss über das Nationalstrassennetz dieses erweitern will, um weitere Engpässe zu beseitigen. Zur Finanzierung soll die Autobahnvignette auf 100 Franken verteuert werden. Dagegen wurde das Referendum ergriffen; abgestimmt wird im November.
Dem Schweizerischen Nutzfahrzeugverband ASTAG und dem Verband strasseschweiz sind die limitierten Mittel ein Dorn im Auge. Sie kritisieren die Zweckentfremdung von «Strassengeldern» und fordern eine nachfrageorientierte und bedürfnisgerechte Strasseninfrastruktur.
In diesem Sinne verlangen sie, dass im zweiten Programm mehr Gelder frei gemacht und weitere Engpässe – insbesondere im Neuenburger Jura und entlang des Arc Lémanique behoben werden. Ein Anliegen, das auch der Schweizerische Gewerbeverband und die SVP unterstützen.
Economiesuisse erinnert zudem an die Kosten der Staustunden. Diese würden auf 1,5 Milliarden Franken geschätzt. „Angesichts des Problemdrucks wäre es zweckdienlich, mit den restlichen 3,2 Milliarden Franken aus dem Infrastrukturfonds so schnell wie möglich ein weiteres Engpassbeseitigungspaket zu schnüren.
Die CVP begrüsst den geplanten Ausbau von gut 100 neuralgischen Strassenkilometern. Angesichts der verbleibenden Engpässe von über 400 Kilometern sei die Verbesserung aber «bei weitem ungenügend».
Verkehr vermeiden statt Platz schaffen
Die Grünliberalen hingegen möchten Verkehr vermeiden statt Strassen ausbauen. Dafür schlagen sie Home-Office-Lösungen und dezentrale Arbeits- und Freitzeitinfrastrukturen vor. Weniger Verkehr sei aber nur möglich mit einer verursachergerechten Preispolitik für alle Verkehrsträger und einem umfassenden Mobility Pricing.
Auch der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) stellt den Ausbau der Infrastruktur in Frage – insbesondere weil vom Strassenverkehr ein Drittel des CO2-Ausstosses ausgeht. Er befürchtet, dass mehr Platz zu mehr Verkehr führen wird – und damit zu mehr Umweltbelastungen. Er schlägt vor, die vorgesehenen Millionen in den Agglomerationsverkehr zu stecken.
Die SP argumentiert ähnlich. Die Absicht des Bundesrats, für nicht finanzierte Projekte aus dem dritten Modul 6 Milliarden Franken bereit zu stellen, lehnt die SP klar ab.
Vernehmlassungsteilnehmer wie die FDP oder auch der ASTAG nutzten die Vernehmlassung auch, um erneut einen auf Verfassungsstufe verankerten Strasseninfrastrukturfonds zu fordern – analog zum Bahninfrastrukturfonds.
Dieses Anliegen stiess bereits auf offene Ohren: Ende Juni hat der Bundesrat Details zum Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds (NAF) präsentiert, der unter anderem aus einem erhöhten Mineralölsteuerzuschlag finanziert werden soll. Diese Idee sollte im August in die Vernehmlassung gehen.