Regisseure! Nach Iñárritu kamen die Italiener: Munzi, Martone, De Matteo. Jetzt huldigt Venedig einem schwedischen Träumer.
Roy Andersson. Er sucht nach Worten, als gälte es, eines seiner Bilder zu erfinden. Bilder, sagt er, seien ohnehin lange vor den Worten in der Kultur des Menschen aufgetaucht. Das Bild sei die erste Sprachform. Am Anfang sei das Wort erst durch ein Bild entstanden.
«Wie schön zu hören, dass es Euch gut geht»
«Va roligt att höra, att ni har det bra». Es ist einer der Leitsätze, die durch das 39-Bilder Album führen, mit dem Roy Andersson heute Abend in Venedig in den Wettbewerb um den goldenen Löwen steigt: «Wie schön zu hören, dass es Euch gut geht» könnte auch der Titel sein, der nun aber lautet «Eine Taube sass auf einem Ast und dachte über die Existenz nach». Roy Andersson schafft es, in einem einzigen Satz eine ganze Welt zusammenzufassen: «Die Menschen sind meist glücklicher, wenn sie hören, dass andere glücklich sind, als wenn sie es selber sind», sagt er an der Pressekonferenz.
Dabei ist Andersson das Meisterauge, wenn es gilt, gewisse Augenblicke im Leben von Menschen aufzufassen: So ein Augenblick ist folgender: Ein ehemaliger Kapitän, in dessen einer Hand eine Pistole hängt, hält mit der anderen Hand ein Telefon an seinen Kopf, und sagt: «Wie schön zu hören, dass es Euch gut geht»
So ein Augenblick ist es auch, wenn die Assistentin im Tierversuchs-Labor telefoniert. Neben ihr windet ein verdrahteter Affe sich, von Stromwellen gepeinigt: «Wie schön zu hören, dass es Euch gut geht», sagt sie freundlich und wiederholt es auch liebevoll, weil sie schlecht verstanden wird.
Andersson hat in den Neunzigern jahrelang an seinem ersten langen Film gearbeitet. Er hat, neben Werbefilmchen und Auftragsarbeiten, Stück um Stück des ersten Teils seiner Trilogie gebaut: Jetzt liefert er mit der «Taube» den dritten Teil. «Ich habe nicht eine Trilogie geplant. Aber mein nächster Film ist der vierte Teil dieser Trilogie». Er sagt das verschmitzt. Denn eigentlich ist Andersson ein unendlich verspielter Humorist. So erbarmungslos wie Otto Dix. So verträumt wie Edward Hopper.
Eine Taube denkt über die Existenz nach (Bild: Betschart)
Venedig huldigt dem Wachträumer
Heute Abend präsentiert er in Venedig sein Panoptikum der Endzeit, wie immer in gräulich, bläulich, grünlichen Räumen: Als wären Christoph Marthalers Figuren in die Bilder von Edward Hopper geflohen und müssten dort auf ihren letzten Einsatz in der Endzeit warten.
«A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence» klingt schon beim Lesen des Titels nach Tausenden von Vögeln, denen die Telefondrähte an den Füssen kitzeln, ohne dass auch nur ein einziger in Gelächter ausbricht. Wir werden Andersson in den nächsten Tagen treffen. Das ausführliche Gespräch mit ihm folgt. Die ausführliche Besprechung des Films folgt, wenn der Film ins Kino kommt. Demnächst. Hier nachzulesen.