Rennes, die Hauptstadt der Bretagne, ist eine sehr moderne Stadt. Was die Architektur betrifft. Aber ein ziemlicher Hammer nach einer Wanderung durch die frühlingshafte Landschaft.
Bin ja noch nicht so weit herumgekommen auf dieser Welt – aber so eine scheussliche Stadt wie Rennes hab ich noch nie gesehen. Mag gewiss auch damit zu tun haben, dass ich erstmals seit langem beim Näherkommen zu einer Stadt in erster Linie hochgeschossene Betontürme sah. Glasgow hab ich richtig heimelig in Erinnerung – da spürte man aus den Strassen, den Gebäuden, den Leuten, die sich darin bewegten, dass das ihre Stadt ist, die sie gern haben. Wo sie arbeiten, wohnen, ausgehen, einkaufen.
Rennes, Hauptstadt der Bretagne, dreihunderttausend Einwohner, empfängt streng mit einem nüchternen Bahnhof. Wahrscheinlich in den achtziger Jahren hochgezogen: Glas, Beton, Platten. Hell gewiss, sauber glänzende Bodenfliessen, funktionierende Rolltreppen, Leute, die an Guichets und Kioske eilen, sich eine Treppe hinunter- oder hinaufrollen lassen, und der Platz davor ist kahl, Fahrspuren für alles Rädrige, Autos, Taxis, Busse, Velos, gläserne Bodenplatten, die unten irgendwo Tageslicht vermitteln, Treppen, die aus unerfindlichen Gründen ins Irgendwo führen – und es reizt einen gar nicht zu sehen, wo und wie dieses Irgendwo ist und was man dort soll. Verkehr dann, Hupen, eine Anzahl aneinander gereihter, günstiger Hotels und zum Hohn ein paar Boulevard-Cafes, wo tatsächlich Leute sitzen. Alles ganz ordentlich verbetoniert und zugeteert, keine Pflanze möchte da wachsen – und es tut es auch keine.
Hatte in Erinnerung, an einem Ort gelesen zu haben, Rennes sei zwar die Hauptstadt der äusserst reizvollen Bretagne, habe aber wenig Charme. Wie wohl, die Erinnerung hat nicht getäuscht, auch wenn ich beim Näherkommen zu dieser Stadt mir immer wieder einhämmerte, das könne ich nicht wirklich gelesen haben.
Was für Architekten!
Rennes! Was soll man hier? Leere Strassen, kein Kern, wo es einen hinzieht, kahle, öde Gassen, eine Architektur, dass man Feuerstellen sucht, um die Pläne der Architekten, die all das hier verbrochen haben, unter Absingen von Hohngesängen verbrennen zu können. Die Strassen sind leer, kein Balkon, auf dem ein Besessener irgendwelche Pflanzen hinsetzte – wie sollte er auch auf diese Idee kommen.
Unten auf dem Bahnhofplatz schreit einer, dass Gott erbarm! Würd ich auch, wenn ich hier leben müsste. Und jetzt bellen gleichzeitig etwa drei Hunde. Wie Verrückte.
Zelt-Idylle, Kanalschleusen
Aber der Reihe nach. Es hat ja alles schön angefangen, heute vormittag. Habe so fein geschlafen im Zelt, bin um halb neun rausgekrochen, einen Kaffee gekocht, langsam, langsam das Zelt abgebrochen, alles Taufeuchte zum Trocknen aufgehängt – und so wurde es elf, bis ich losziehen konnte. Dem Kanal entlang, bevölkert von Sonntagsausflüglern, Fischern. Es war heiss, alles war schnell wieder klatschnass, genoss das Vorankommen, den Anblick des still ruhenden Kanals. Seerosen blühten, träge trieben Gräser dahin, Fische schwebten im braunen Gewässer.
Vor den Schleusenwärter-Häuschen räkelten sich die Leute, eines zeichnete ich ab, verliess manchmal den Kanalweg, um grosse Schlaufen abzukürzen, kam so durch Tremagouet, ein Dörfchen, in dem man sich ein kleines Gütchen kaufen und – wenn man in der Nähe leben würde – schön renovieren könnte. Alles ist am Zerfallen hier, ein paar Hunde bellen und was bewohnt ist in diesen Ruinen, in zwei, drei Häusern, das sind Wochenendhäuser.
In Tinteniac schaute ich eine Weile dem WM-Match zwischen England und Schweden zu und sah das wunderbare Tor der Schweden – dachte an die Leute drüben auf der Insel, wie sie mitfieberten. Irgendwann lief ich an ein bretonisches Hanffest, an dem sie alte Lieder sangen, Hanfprodukte verkauften und zwar nicht solche zum Rauchen, sondern textile. Und so hab ich nun auch einen Hut, besser: eine Mütze. Reiner Bretonenhanf.
Alle in den schattigen Gärten
Quer übers Land, in Guipel erst eine Flasche Wasser gekauft von zwei Dreissigjährigen, die allein in einer Bar rumhingen. Welcher der beiden der Beizer war, habe ich nicht herausfinden können, und als ich ging, erhob sich einer von den Sportsendungen und gab mir eine weitere mit. Es waren die einzigen, die ich in diesem Dorf sah – ausser ein paar, die in trautem Familienkreis in ihren Gärten rumhingen. Als ob schon Hochsommer wäre, vermeiden es die Leute, aus ihren schattigen Gärten hervorzukriechen – kein Wunder bei diesen kahlen Strassen und Plätzen in den Dörfern der Bretagne. An einem geheimnisvollen Schloss le Bois Geoffrey vorbei, nach St-Medard-sur-Ille.
Wanderte dem Kanal entlang, wo sich die verliebten Pärchen tummeln und gedachte in St-Germain-sur-Ille zu übernachten. Steig hoch ins Dorf in die Dorf-Auberge – aber da gab´s kein Zimmer, nur erstaunte Wirtsleute und ein paar Gäste, die über den fremden Wanderer erstaunt waren und ihm umständlich erklärten, dass ihm wohl nichts anderes übrigbliebe, als eben nach Rennes zu wandern.
(Rennes, 2. Juni 2002)