Bei der Reform der Altersvorsorge hat der Nationalrat am Montag in mehreren wichtigen Punkten nachgegeben. Dafür erwartet er vom Ständerat, dass er den umstrittenen AHV-Zuschlag fallenlässt. Ob dieses Kalkül aufgeht, entscheidet sich in der Einigungskonferenz.
Die Einigungskonferenz tritt am Dienstag zusammen, da sich die Räte in drei Beratungsrunden nicht auf eine Reform einigen konnten. Das Gremium setzt sich aus der 13-köpfigen Sozial- und Gesundheitskommission des Ständerats und einer ebenso grossen Delegation der Nationalratskommission zusammen.
SP, CVP und BDP haben in der Einigungskonferenz die Mehrheit. Die drei Fraktionen setzen sich für den AHV-Zuschlag von 70 Franken ein. Es handelt sich um den zentralen Streitpunkt der Reform. SVP, FDP und GLP dominieren zwar den Nationalrat, in der Einigungskonferenz sind sie aber in der Minderheit. Am Montag haben sie den Boden für einen letzten politischen Kraftakt bereitet.
Kalkulierte Annäherung
Auf Antrag der vorberatenden Kommission lenkte die grosse Kammer in sieben von neun noch ungeklärten Punkten ein. Dabei liess sie den politisch ohnehin kaum haltbaren Interventionsmechanismus fallen. Vorgesehen war eine automatische und schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf bis zu 67 Jahre, sobald die AHV in finanzielle Schieflage gerät.
Witwen-, Hinterlassenen- und Kinderrenten werden nicht angetastet. Schliesslich soll jener Teil der Reform, der die berufliche Vorsorge betrifft, 2019 statt bereits 2018 in Kraft gesetzt werden.
Das Einlenken hatte allerdings nichts mit einem Meinungsumschwung zu tun: Mit dem taktischen Rückzug versucht der Nationalrat, seine wichtigsten Positionen retten. Im Zentrum steht sein eigenes Konzept zum Ausgleich der Rentenausfälle, die bei der Senkung des Umwandlungssatzes in der obligatorischen beruflichen Vorsorge entstehen: Die Versicherten sollen mehr einzahlen, um später gleich viel Rente zu bekommen.
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Wichtigste Massnahme ist die Abschaffung des Koordinationsabzugs. Wer mehr als 21’125 Franken pro Jahr verdient, muss auf dem ganzen Lohn Beiträge zahlen. Die Beiträge sind anders abgestuft und etwas tiefer als beim Ständerat. Gespart wird ab 25 Jahren. Die Übergangsgeneration, deren Ausfälle aus dem Sicherheitsfonds ausgeglichen werden, beginnt bei 45 Jahren.
Das Konzept des Ständerats, die Rentenausfälle mit einem Zuschlag auf neuen AHV-Renten und höheren Ehepaar-Renten ausgleichen, fiel im Nationalrat erneut durch. Mit 104 zu 91 Stimmen hat die grosse Kammer auch daran festgehalten, zur Finanzierung der AHV die Mehrwertsteuer um höchstens 0,6 Prozent anzuheben. Der Ständerat möchte 1 Prozent mehr, das wären zusätzliche Einnahmen von rund 1,4 Milliarden Franken.
Druck auf Ständerat
Die SVP könne keiner Vorlage zustimmen, mit der die AHV in den Ruin getrieben werde, sagte ihr Sprecher Sebastian Frehner (BS). Um den Weg für eine Einigung zu ebnen, sei sie aber bereit, dem Ständerat weit entgegenzukommen. «Nun erwarten wir vom Ständerat, dass er unserem Rat ebenfalls entgegenkommt», sagte Frehner.
Um das Gelingen der Reform sicherzustellen, sei die GLP zu Kompromissen bereit, betonte auch Kathrin Bertschy (BE). «Wir erwarten aber vom Ständerat ein Entgegenkommen».
Ähnlich tönte es von FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis (TI). Die FDP habe sich bewegt, nun sei es am Ständerat, sich bei den verbleibenden Differenzen zu bewegen. Alles andere wäre laut Regine Sauter (FDP/ZH) «unschweizerisch». Und Kommissionssprecherin Isabelle Moret (FDP/VD) drohte: «Wenn sich der Ständerat uns nicht annähert, wird er die Verantwortung tragen für das Scheitern seiner eigenen Vorlage.»
Fragwürdiges Opfer
BDP-Sprecher Lorenz Hess (BE) stellte den Wert des nationalrätlichen Entgegenkommens in Frage. Der Interventionsmechanismus sei ohnehin schon klinisch tot gewesen. Hess glaubt daher nicht, dass der Ständerat mit diesem Opfer zum Einlenken gebracht werden kann.
Der Interventionsmechanismus ist vom Nationalrat in die Vorlage eingefügt worden. Damit hätten SVP und FDP die Argumente für den angeblichen Kompromiss selber geliefert, sagte Barbara Schmid-Federer (CVP/ZH). Sie erinnerte auch daran, dass sich die Linke bereits auf die Rechte zubewegt habe, indem sie die Erhöhung des Frauenrentenalters mittrage.
Unter diesen Vorzeichen trifft sich die Einigungskonferenz am Dienstagabend. National- und Ständerat beraten am Donnerstagmorgen über deren Vorschläge. Kommen eine Einigung und eine absolute Mehrheit für das Lösen der Ausgabenbremse zu Stande, muss die Vorlage am Freitag noch die Schlussabstimmung überstehen. Am 24. September könnte sich dann das Volk zur Vorlage äussern.