Respektieren ist besser als ausgrenzen

«Der Islam strebt nach der Macht», schrieb der Basler EDU-Präsident Roland Herzig in einem Gastkommentar. Deshalb lehne er die Anerkennung als öffentlichrechtliche Religionsgemeinschaft ab. «Dieser Text darf nicht unbeantwortet bleiben», findet Antonia Bertschinger. Ihre Replik. Herr Herzig sollte sich besser etwas näher mit der Geschichte seiner eigenen Ideologie befassen als sich über Dinge auslassen, von […]

«Der Islam strebt nach der Macht», schrieb der Basler EDU-Präsident Roland Herzig in einem Gastkommentar. Deshalb lehne er die Anerkennung als öffentlichrechtliche Religionsgemeinschaft ab. «Dieser Text darf nicht unbeantwortet bleiben», findet Antonia Bertschinger. Ihre Replik.

Herr Herzig sollte sich besser etwas näher mit der Geschichte seiner eigenen Ideologie befassen als sich über Dinge auslassen, von denen er offenbar wenig versteht. Die jüdischen und christlichen Werte als die richtigen gemeinsamen Werte und die islamischen als ihren Gegensatz zu bezeichnen, zeugt von geradezu himmelschreiender historischer Unkenntnis.

Im Blog «Speaker’s Corner» publiziert die TagesWoche unter anderem Gastkommentare von Leserinnen und Lesern. Dieser Text von Antonia Bertschinger ist eine Replik auf Roland Herzig-Bergs Beitrag «Der Islam strebt nach Macht».

Dass wir heute in einem Staat leben, in dem das säkulare Gesetz das Zusammenleben regelt und nicht die Kirche, dass die Frauen zumindest auf dem Papier den Männern gleichgestellt sind, ist nicht eine Eigenschaft oder Folge der vielbemühten jüdisch-christlichen Kultur, sondern das Resultat eines jahrhundertelangen erbitterten Kampfes säkularer Kräfte gegen (christliche) religiöse Dominanz.

Dieser Kampf ist noch lange nicht ausgestanden, die Trennung von (christlicher) Kirche und Staat in der Schweiz immer noch nicht ganz vollzogen (Stichwort Kirchensteuer), immer noch beginnt unsere Bundesverfassung mit den Worten «Im Namen Gottes, des Allmächtigen», immer noch würden (christliche) religiös-konservative Kräfte am liebsten die Frauen zurück an den Herd schicken – und die Partei von Herrn Herzig setzt sich mit ihrem Kampf gegen Sexualunterricht im Kindergarten für die Durchsetzung einer Sexualmoral ein, wie sie verklemmter und rückständiger nicht sein könnte.

Die am islamischen Gesetz vielkritisierte Steinigung ist eine ursprünglich jüdische Sitte und wesentlich älter als der Islam, gläubige Jüdinnen verstecken auch heute ihre Haare, und mulier taceat in ecclesia sowieso. Kurz, historisch betrachtet ist die jüdisch-christliche Kultur genauso patriarchal und auf die Macht im Staat versessen, wie es dem Islam heute vorgeworfen wird.

Wir haben im Westeuropa des 21. Jahrhunderts das Glück, dass die traditionellen religiösen Kräfte zurückgebunden werden konnten und nur noch in Randerscheinungen wie der EDU ihr Nischendasein fristen. Die Kultur, die Herr Herzig dem bösen Islam entgegensetzen möchte, ist nicht die jüdisch-christliche, sondern die aufgeklärt säkulare.

Ich habe selbst zwei Jahre in Iran gelebt und kenne die Auswüchse des islamischen Fundamentalismus aus eigener Erfahrung (und sicher wesentlich besser als Herr Herzig); die Bewahrung bzw. Weiterentwicklung unserer säkularen, rechtsstaatlichen und mehr oder weniger geschlechtergleichgestellten europäischen Kultur ist mir ein Lebensanliegen.

Gelingen kann dies aber nur, wenn wir alle religiösen Gruppierungen so einbinden, dass sie gedeihen können, ohne sich angegriffen oder ausgegrenzt zu fühlen. Dass sie im Austausch mit der Gesellschaft und mit Respekt vor dem Gesetz ihren Aktivitäten nachgehen können. Dass ihre Mitglieder nicht gezwungen sind, zwischen ihrer religiösen Zugehörigkeit und ihrem schulischen oder Arbeitsumfeld einen scharfen Schnitt zu machen.

Dies ist der bessere Weg, um den von Herrn Herzig so gefürchteten islamischen Fundamentalismus zu bekämpfen, als die von ihm propagierte Verachtung und Ausgrenzung.

Lesen Sie mehr zum Thema «Angst vor dem Islam» in der Wochenausgabe der TagesWoche, ab sofort auf Papier oder in der App der TagesWoche.

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