Reykjavik Film Festival – Island-Diaries 2

Die Spalteneruption in Island weitet sich langsam nach Norden aus. Es brodelt im Untergrund. Fragt man einfache Leute, brodelt ausser Lava auch anderes. Das Reykjavik Film Festival hat schon viele bekannte Filme präsentiert: «Reykjavik», «Of Horses and Men» (läuft zur Zeit bei uns) und «Vonarstræti» (läuft am ZFF, kommt Ende Jahr in die Kinos). Gestern […]

Die Spalteneruption in Island weitet sich langsam nach Norden aus. Es brodelt im Untergrund. Fragt man einfache Leute, brodelt ausser Lava auch anderes.

Das Reykjavik Film Festival hat schon viele bekannte Filme präsentiert: «Reykjavik», «Of Horses and Men» (läuft zur Zeit bei uns) und «Vonarstræti» (läuft am ZFF, kommt Ende Jahr in die Kinos). Gestern Nacht habe ich noch erfahren, dass sich nicht nur in  den Kinos sondern auch im Norden von Island einiges tut: Die Spalteneruption in Holuhraun hat begonnen, am nördlichen Ende einer Magma-Intrusion von der Bárðarbunga aus nach Norden zu bewegen. Im Süden nichts Neues.

Am Morgen ist alles ruhig. Experten deuten das als gefährlich. Die meisten Touristen möchten dennoch in die Nähe von Vulkanen. Dorthin fahren, wo es brodelt im Untergrund. Dabei kann man hier auch im Alltag erleben. Der grösste Untergrund-Vulkan Islands ist aber ein ganz anderer, ein sozialer.

Einerseits schlummert eine gewaltige Alkoholblase. Island ist das Land mit der grössten Alkoholikerdichte der Welt. In «Of Horses an Men» treibt der Isländer sogar sein Pferd ins offene Meer, um an seinen geschmuggelten Vorrat auf dem russischen Trawler zu kommen. «Vonarstræti», der auch in Zürich auffiel, ist in der Tat die Geschichte eines Alkoholikers, der durch seine Sucht zu einer Gefahr für die Umgebung werde könnte.

Der Konsum von Alkohol ist in Island reglementiert. Er wird vom Staat in speziellen Läden organisiert – wie in Schweden. Das hindert Islands Bevölkerung nicht am Rausch. Dichtestress herrscht aber vor allem bei den anonymen Alkoholikern. Jeder Fünfte Isländer kennt ein Familienmitglied, das wöchentlich in einer anonymen Alkoholiker-Gruppe sitzt.

Darin sehen Fachkreise nicht Anzeichen, dass das Problem grösser ist als anderswo. Grösser ist aber gewiss das Problembewusstsein. Island kann stolz darauf sein, dass man hier viel mehr darüber redet, was im Untergrund brodelt.

 

Das Reykjavik-Filmfestival ist also am Nerv der Zeit, wenn es auch über Drogen nachdenkt: Die Partydrogen haben auch Island erreicht: In «Smetto quando voglio» überrascht Sibilla Sydney mit einer frechen Anarcho-Komödie, in der die Drogen für einmal als Finanz-Spritze für Arbeitslose Akademiker auf den Markt kommen. Reykjavik vergnügt sich an dem Humor, der an den Nobelpreisträger Dario Fo («Mamma hat den besten Shit») erinnert. Wie vergnüglich intelligente Anarchie  sein kann, haben die Isländer selber schon praktiziert.

Nach dem Staatsbankrott hat sich das wertkonservative Volk mit 35 Prozent ein neues Gesicht gegeben. Die Anarchosurrealisten des Jon Gnarr, von Beruf Komiker, betrat die Bühne der Politik. Er war als Bürgermeister der Hauptsatdt plötzlich Arbeitgeber von 8000 Beamten. Vier Jahre dauerte der Tanz auf dem Vulkan. Jetzt hat man wieder bekannte politische Kräfte gewählt: Der neue Bürgermeister ist Sozialdemokrat.

Die Isländer gehen, wie die Schweden, mit Problemen anders um, als  die Länder im Süden: Bankenretten wurde hier kollektiv abgelehnt. Aber auch gemeinsam konnte man sich nicht dazu druchringen, Banker zu bestrafen. Getrunken wird jetzt wieder gemeinsam, im Rudel. Die neue Regierung von Grnorrs Gutelaunepartei wurde kollektiv wieder abgewählt. Stattdessen scheint die gesamte Junge Bevölkerung von der Tourismusindustrie als Gutelaunemaschine in der Stadt verteilt zu werden.

In den Lokalen wird viel gespielt. Dabei starren verblüffenderweise die wenigsten Kneipengänger aufs Handy. (Schon öfter allerdings ins Glas). Gespielt wird Monopoly, Brettspiele, Würfelspiele, Schach. Allerdings, ehe man sich in ohrenbetäubenden Musik-Lokalen noch ein wenig anbrüllt.

Den Isländern ist es also vertraut, wenn in «Lùdo» von katrin Ottarsdottìr,eine mystisch angehauchte Familien-Depression in einem Mensch-Ärgere-dich-Nicht-Spiel: Im Lokal neben dem Kino darf man danach feststellen, dass das tatsächlich aus dem Leben gegriffen ist. Man spielt Monopoly!

Das ist dann auch das nächste Thema nach dem Thema Alkohol: Jeder zweite Isländer hat sich mit seiner Hypothek oder einem Darlehen in der Krise verzockt. Doch den Film zu den Folgen der Schuldenkrise sehen wir est morgen: «The Lesson» des Bulgaren Petar Valchanov berichtet von der Südspitze Europas aus über den Kollaps des Bankensystems in Europa. Bis dahin bleibt noch Zeit für einen Ausritt im isländischen Herbst.

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