Der Winter naht und wieder droht Streusalz knapp zu werden. Doch wer helfen will, den lassen die Rheinsalinen auf dem Salz sitzen – dies brachte eine kleine Badener Firma in die Klemme.
Die Absage kam mit den steigenden Temperaturen. «Für das Salz aus der Türkei ist es jetzt leider zu spät. Das Wetter hat die Nachfrage komplett gekehrt», schreibt der Leiter Verkauf der Schweizer Rheinsalinen an die Kleinfirma Open Hearts GmbH in Baden AG. Er dankte herzlich für «Ihren grossen Einsatz, uns eine bedeutende Menge Salz zu beschaffen». Das Mail datiert vom 8. Februar 2011.
Damals sorgt der Salzmangel wochenlang für Schlagzeilen. Der Winter ist kalt, die Strassen sind vereist, Trottoirs zugeschneit. Die Nachfrage nach Streusalz in der Schweiz übersteigt das Angebot. Viele Gemeinden schränken den Winterdienst ein. Älteren Einwohnern raten sie, zu Hause zu bleiben, weil es vielerorts an Salz mangle, um Trottoirs oder Quartierstrassen zu räumen.Sidney Weill, Inhaber der Kleinfirma Open Hearts mit Sitz in Baden AG, wollte helfen. Schliesslich hat er mit seiner Eventagentur Open Hearts grosse Erfahrung darin, etwas rasch auf die Beine zu stellen. Er organisierte etwa ein Openair auf dem Bundesplatz, eine jüdische Kulturwoche oder einen Anlass zu den bilateralen Verträgen im Auftrag von Bundesrätin Doris Leuthard. Vor allem aber pflegt er ein internationales Beziehungsnetz und kann Salz vom Toten Meer in Israel oder aus der Türkei beschaffen. Dass das Salzgeschäft wenig lukrativ zu sein scheint, schreckte ihn nicht ab. Im Gegenteil: «Ich fühlte mich verpflichtet zu helfen», sagt er.
Froh um jede Tonne Auftausalz
Weil es grundsätzlich verboten ist, Salz in grösseren Mengen selbst zu importieren, bietet Weill dem Salzmonopolisten, den Rheinsalinen in Pratteln, seine Dienste an. Dort ist man froh um jede Tonne Auftausalz. Wegen des harten Winters ist der europäische Markt leergekauft. Das von der Kleinfirma gelieferte Warenmuster ist von so guter Qualität, dass die Rheinsalinen am 20. Januar umgehend über 5000 Tonnen Salz bestellen. Die Details regelt der Salzmonopolist in einem schriftlichen Vertrag: 2000 Tonnen abgepackt in 25 Kilosäcken lieferbar bis zum 18. Februar. Der Rest eine Woche später. Von den Rheinsalinen unterschreiben der Leiter Verkauf und der Direktor, Jürg Lieberherr, persönlich.
Sofort setzt die Kleinfirma Open Hearts alle Hebel in Bewegung, um das Salz termingerecht innerhalb eines Monats liefern zu können. Als in Israel die Arbeiter streiken, arbeitet Weill Tag und Nacht, um in der Türkei Ersatz zu beschaffen. Selbst als ihn die Rheinsalinen kurz vor dem Liefertermin bitten, nur 2000 statt 5000 Tonnen zu liefern, lenkt er ein. Doch noch bevor er das Salz wie geplant Mitte Februar importieren kann, schickt ihm der Verkaufsleiter der Rheinsaline eine Absage – per Mail: Weil es jetzt wärmer sei, könne die Rheinsaline den Bedarf an Auftausalz wieder aus eigener Produktion decken. Als Entschädigung für seinen Einsatz lade er ihn gerne zu einem Essen ein und zeige ihm die Salzkammer.
Der Direktor antwortet nicht
Die ursprüngliche Bestellung der Salinen von über 5000 Tonnen Auftausalz ist ein Kaufvertrag und ein solcher Vertrag ist gemäss Obligationenrecht einzuhalten. Gerne hätte die TagesWoche von den Rheinsalinen erfahren, auf welches Sonderrecht sich der Salzmonopolist berief, als er von diesem verbindlichen Vertrag ohne Widerrufsrecht zurücktrat. Aber Direktor Jürg Lieberherr antwortet nicht auf die Frage, sondern sagt nur so viel: «Zwischen den Parteien ist beim zuständigen Gericht ein Verfahren hängig.» Tatsächlich hat die Kleinfirma Open Hearts inzwischen Klage eingereicht.
Das wärmere Wetter und die damit verbundene sinkende Nachfrage nach Salz sei kein Grund, die Bestellung zu annullieren. Dieses Risiko müsse der Käufer tragen, darin sind sich verschiedene von der TagesWoche angefragte Rechtsprofessoren einig. Wer in einem Laden eine Wollmütze bestellt, hat auch keinen Anspruch darauf, seine Bestellung einfach rückgängig zu machen, nur weil der Winter plötzlich viel milder ist als erwartet. Willigt der Verkäufer trotzdem ein, ist das reine Kulanz.Das kann sich Sidney Weill nicht leisten, denn er hat gekrampft, um trotz ausgetrocknetem Markt doch noch Salz zu organisieren. Er kann und will sich nicht mit einem Nachtessen abspeisen lassen. Deshalb fordert er jetzt von den Rheinsalinen über 100 000 Franken. Aus prozesstechnischen Gründen läuft die Teilklage erst einmal auf 30 000 Franken. In einer ersten Runde wartete er vor dem Friedensrichter allerdings vergeblich auf die Vertreter der Rheinsaline. Diese liessen ausrichten, sie seien am Schlichtungsverfahren nicht interessiert und würden deshalb nicht vor dem Friedensrichter erscheinen. «Angesichts der diametral entgegengesetzten Standpunkte beider Parteien war zum Vornherein eine vergleichsweise Lösung nicht denkbar», sagt Salinen-Direktor Lieberherr.
Erst vor Kurzem sorgten die Rheinsalinen wieder für Schlagzeilen. Weil ihre neu installierten Kompressoren schon kaputt sind, ist die Produktion eingeschränkt. Direktor Jürg Lieberherr erklärte gegenüber verschiedenen Medien, dass wegen der eingeschränkten Produktion auch diesen Winter das Salz bereits im Januar 2012 wieder knapp werden könnte. Diesmal hätten die Salinen aber vorgesorgt und könnten im Bedarfsfall Salz importieren. Man habe sich bei ausländischen Lieferanten vertraglich abgesichert. Nun müssen sich die Rheinsalinen darauf verlassen können, dass sich ihre Vertragspartner an die Verträge halten und nicht plötzlich eine Absage mailen. Sidney Weill jedenfalls wird diesen Winter kein Salz mehr liefern, wie hart der Winter auch immer wird.
Überholtes Monopol
Die Kantone besitzen das Monopol für den Handel mit Salz. Dieses sogenannte Regalrecht geben sie an die Schweizer Rheinsalinen weiter. Ausgenommen ist der Kanton Waadt, der eine eigene Saline betreiben lässt. Sämtliche politischen Vorstösse, das Salzmonopol abzuschaffen, sind bisher gescheitert. Dies, obwohl selbst der Bundesrat das Monopol für überholt hält. Es sei nicht mehr nötig, um die Bevölkerung mit Speisesalz zu versorgen oder genügend grosse Mengen Streusalz zu garantieren, so die Landesregierung. Es liege jedoch an den Kantonen, das Monopol aufzuheben.Doch diese wollen sich ihre Pfründe nicht nehmen lassen. Insgesamt kassierten sie letztes Jahr 28 Millionen Franken. So viel kommt zusammen aus Regalgebühren, Konzessionsabgaben, Dividenden und Salzsteuern.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04/11/11