Eine Art Art im Opernhaus: Videokunst für einmal nicht im musealen Darkroom. Matthew Barney und Jonathan Kepler sprengen jede Fessel. Nur die Leinwand nicht. Heute Abend Film im – Theater.
Auf Fragen antwortet er leise, zurückhaltend. Wenn er spricht, denkt er eigentlich nur seine Kunst weiter. Er ist ein Künstler, der auf der Stelle vergessen macht, dass man Künstler besser durch ihr Werk sprechen lässt. Er ist selber die Kunst. Matthew Barney.
Er begibt sich schon auch mal für eine Performance in eine tote Kuh hinein, um aus ihr neu geboren zu werden, der «Großkünstler» (Die Zeit) und «wichtigste amerikanische Künstler seiner Generation» (New York Times). Er ist der Gigantomane unter den Bildhauern. Er ist in Basel mit seinem «River of Fundament» zu Gast. Heute Abend ist Schweizer Film-Première.
Der Hybrid erobert die Kunst
Matthew Barney hat mit seinem kongenialen Komponisten Jonathan Bepler die letzten Jahre seines medialen und künstlerischen Schaffens mit seiner Leseart von Norman Mailers Roman «Ancient Evenings» digital festgehalten. Als Film?
Was als Oper, oder Reenactment einer Performance, oder als mediales Crossover angekündigt werden könnte, nennt Barney einen «Hybrid», und da ist es durchaus treffend, wenn wir dabei erst einmal an Autos denken. Das Auto spielt nämlich eine zentrale Rolle in «River of Fundament» – einem über sechsstündigen Film.
Wenn ein derart langer Film angeboten wird, zucken Opernkritiker zurück. Das ist länger als jede Oper von Wagner! Filmkritiker rufen alarmiert nach einem Cut! Theaterkritiker lächeln panisch: Film im Theater? Sind wir jetzt am Ende der Theaters, wie es die Generation, die ins Theater geht, noch kannte, angelangt? Tatsächlich geht denn auch der Vorhang hoch, wie früher im Kino, bevor dahinter die Bühne sichtbar wird: Nichts, als eine Leinwand. Aber ist das dann auch Film?
Für einen ausgelesenen Kreis von Kunstliebhaberinnen
Matthew Barney lässt uns dabei sein, wie er 200 erlesene Zuseher durch Detroit karrt und sie dort 2010 neun Stunden lang ein gigantomanisches Industrie-Feuerwerk erleben lässt: Er setzt Autos in Flammen, bringt Sie zu Wasserbestattungen, schmilzt sie neu ein, um schliesslich daraus wiederum ein Fanal zu giessen: Die Welt als Wiedergeburt. Der Mensch als deren Randerscheinung.
Barneys zweites Lieblingswort neben «Hybrid» bei der Erklärung seiner Arbeit ist: Language. Dabei hat er ohne Zweifel als Bildhauer, Performance-Künstler, Aktionist eine neue Sprache entwickelt. Er denkt den Kunstfilm weiter.
Er macht keine Video-Installation, die in einem Dark-Room Bildkunst zelebriert, wie Steve McQueen es meisterhaft beherrscht (auch er war im «Schaulager» zu sehen). Als Filmer bleibt er aber auch im Film seinen Installationen treu: Irgendwo zwischen Leos Carax und Peter Greenaway denkt er die Bildersprache des Films ganz neu weiter, und findet in Norman Mailer sein literarisches Pendant. Ihm weiht er seine Totenwache.
Der Schaffensprozess als Endprodukt im Fluss
«River of Fundament» bildet aber auch keine Oper ab, die Musik bebildert (wie Robert Wilson es einst anfing). Der Komponist Bepler macht jeden Schaffensprozess vom Anfang bis zum Schluss sichtbar, und variiert doch immer nur sein Thema der Widergeburt. Er lässt Metallgeigen bauen, lässt sie erklingen, er nutzt die Draht-Seile der gigantischen Schmelztiegel zu Tönen und lässt alles wieder zerfliessen.
Barney hat nicht einen Film gemacht. Er lässt uns in Bildern teilnehmen an seiner inneren assoziativen Besessenheit. Er folgt aber auch einer äusseren Narration: In Norman Mailors Epos hat er einen Leitfaden für seine Exzesse gefunden. Und der mytologische Faden entwickelt zunehmend einen opernhaften Sog.
Dabei lassen Matthew Barney und Jonathan Bepler die Musik vor unseren Augen entstehen – und vergehen. Sie gehen der Arie als Schrei, als Schmerz, als Stimmprobe auf den Grund. Sie entwickeln vom Urschrei bis zum Kunstschrei das ganze Spektrum. Sie machen jede Installation auch zum Instrument, das Teil der Wiedergeburt ist.
Musiktheaterperformancefilm
Letzten Endes ist den beiden ein grauenhaft schönes Endzeit-Bild geglückt, tröstlich, wie es nur die Oper kann, weil sie uns mit der Musik über unser Schicksal hinausführt. Wer diese Versuchsanordnung besucht, ist gewarnt. Sechs Stunden Film sind auch im Kino recht lang. Wer aber das Wechselbad von Performance, Aktionismus, Oper, Fluxus, Reenactment und Film wagt, der mutet sich während dem bunten Treiben des Kunstmarktes auf der Art eine wuchtige opernhafte Ergänzung zu – im Theater.
Derart im Opernhaus der Basler Theater als Film vorgeführt, wird aus der Mischform noch mehr: Eine neue Form von «gemeinsam ins Kino gehen» – allein dies ist eine Provokation im Opernhaus. Dennoch bleibt, für jene die sich an den Bildern festsehen wollen, das Gefühl, einem Solitär beigewohnt zu haben.