Nach dem tödlichen Unfall einer Zürcher Schülerin auf einer Riverrafting-Tour 2007 bei Gstaad BE ist ein Riverrafting-Guide von einem Gericht freigesprochen worden. Das Urteil wird weitergezogen.
Der 47-jährige stand wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung vor Gericht. Im Zentrum der Gerichtsverhandlung stand die Frage, ob die Boote genügend Abstand zueinander hatten. Der Thuner Richter Jürg Santschi kam zum Schluss, es sei nicht erwiesen, dass der gebürtige Ire seine Sorgfaltspflichten verletzt habe.
Der Unfall ereignete sich an einer Engstelle in der sogenannten Vanel-Schlucht zwischen Gstaad BE und Chateau-d’Oex VD. Eine Zürcher Schulklasse war in drei Booten mit Guides im Konvoi auf dem Fluss unterwegs. An der Engstelle fuhren zwei Boote aufeinander auf, das hintere überschlug sich.
Ein 15-jähriges Mädchen verfing sich unter Wasser und konnte erst Minuten später befreit werden. Es starb später im Spital.
Guide wollte helfen
Der Angeklagte sagte vor Gericht, er habe gesehen, wie das vordere Boot in ruhigeres Gewässer gefahren und plötzlich quer zur Strömung gestanden sei. Er habe befürchtet, es werde seitlich gegen einen Felsbrocken im Fluss gedrückt und werde kentern.
Er habe sich entschieden, an dieser Stelle vorbeizufahren, um etwas weiter unten dann die Schüler aus dem Wasser zu fischen.
Doch das vordere Boot kenterte nicht. Stattdessen hing es am Felsbrocken fest und versperrte die Durchfahrt. Der Angeklagte konnte mit seinem Boot nicht mehr ausweichen und fuhr auf. Nun kenterte sein Boot.
«Schutzbehauptung»
Der Anwalt der Familie des Opfers hielt die Aussagen des Guides für «reine Schutzbehauptungen». Der Mann habe schlicht und einfach nicht genug Abstand gehalten, da gebe es nichts daran zu rütteln.
Richter Jürg Santschi verwies in der Urteilsbegründung auf die Tatsache, dass es keine fixen Abstandsregeln gebe. Vielmehr müssten die Guides den richtigen Abstand je nach Situation einschätzen und wählen können.
Der Guide im ersten Boot habe laut Aussagen sein Boot in langsameres Gewässer gesteuert, um den Abstand zu den nachfolgenden Booten zu verringern. Das deutet gemäss Santschi darauf hin, dass der Abstand der Boote vor dem Unfall wohl eher zu gross als zu klein gewesen war.
Letztlich könne der genaue Abstand aber im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden, betonte Santschi. Der Angeklagte sei deshalb mindestens «in dubio pro reo» freizusprechen.
Dass sich der angeklagte Guide angesichts der Szenen, die sich in der Vanel-Schlucht vor ihm abspielten, für eine Weiterfahrt und die Rettung von Kindern aus dem Wasser entschieden habe, hielt der Richter für nachvollziehbar. Auch die beigezogenen Experten hatten sich am Vortag im Gerichtssaal in diese Richtung geäussert.
Die Familie des Mädchens nahm das erstinstanzliche Urteil im Thuner Gerichtssaal mit Konsternation entgegen. Der Anwalt hielt mit seiner Empörung über den Urteilsspruch nicht hinter dem Berg und kündigte noch im Gerichtssaal Berufung an.
Weitere Verfahren eingestellt
Dass der Fall erst sieben Jahre nach dem Tod der Schülerin vor Gericht gelangte, hat verschiedene Gründe. So wurde etwa zunächst gegen weitere Personen ermittelt, darunter den Geschäftsführer des Tour-Anbieters oder gegen den Lehrer der Zürcher Klasse.
Diese Verfahren wurden eingestellt, was die Familie des Mädchens erfolglos bis vor Bundesgericht anfocht.