Heute beginnt in New York das letzte Major-Turnier des Jahres. Roger Federer befindet sich in einer völlig ungewohnten Rolle.
Vor einem Jahr gab es vor dem US Open einen grossen Favoriten: Roger Federer. Der Baselbieter hatte sich in den ersten Monaten des Jahres mit grandiosem Tennis in der Weltrangliste auf Platz 1 vorgearbeitet, sechs seiner ersten dreizehn Turniere des Jahres gewonnen und im vielleicht wichtigsten Monat der Tennis-Geschichte – Wimbledon und Olympia hintereinander auf der gleichen Anlage – das Double nur knapp verpasst, sich aber mit dem Gewinn einer Olympia-Einzelmedaille (Silber) einen weiteren Kindheitstraum erfüllt. Federer trat in New York mit gewaltigem Selbstvertrauen an, seine Jahresbilanz gegen Spieler aus den Top Ten betrug vor Flushing Meadows 13:4. Als er dann im Viertelfinal am gefährlichen Tschechen Tomas Berdych scheiterte, sprachen einige Auguren sogar von einer Sensation.
365 Tage später könnte die Ausgangslage kaum unterschiedlicher sein. Federer hat seit dem letzten US Open nur noch eines von sechzehn Turnieren gewonnen (im Juni in Halle), plagte sich immer wieder mit Rückenproblemen herum und wagte zuletzt sogar einen Racketwechsel, den er aber – zumindest bis nach dem US Open – wieder abgebrochen hat. Seine Bezwinger der letzten Monate tragen Namen, die der breiten Öffentlichkeit kaum ein Begriff sind, Sergej Stachowski, Federico Delbonis oder Daniel Brands. Federer hat in den letzten 12 Monaten rund zwei Drittel seines Punkteportefeuilles eingebüsst und ist als Konsequenz auf Platz 7 im Ranking abgerutscht, so tief wie seit 11 Jahren nicht mehr.
Nur noch wenige Experten haben ihn für das letzte Turnier des Jahres wenigstens im erweiterten Favoritenkreis, mit Federer lässt sich plötzlich auch bei den Buchmachern gutes Geld verdienen, «Interwetten» führt den Schweizer beispielsweise mit einer Quote von 12,00 (Djokovic 2,80, Nadal 3,20, Murray 4,20). Auch wenn objektiv gesehen im Moment nicht viel für ihn spricht: Wer ein paar Franken übrig hat und einen kleinen Hang zum Risiko hat, könnte diese durchaus auf den Baselbieter setzen. Wenn er fit antreten kann, ist er aufgrund seines Potenzials und seiner Erfahrung immer gefährlich, auf schnellen Unterlagen ohnehin.
Federer wird aber nicht so weit voraus schielen, sondern sich auf die ersten Runden fokussieren. Sein Startgegner ist der Slowene Grega Zemlja (ATP 61), den er bislang zweimal problemlos bezwang. Nach einem Duell mit Santiago Giraldo oder Carlos Berlocq käme es wohl zur Partie gegen Sam Querrey, ehe er sich die Partie gegen Nadal wohl mit einem Erfolg gegen Kei Nishikori (oder eventuell Bernard Tomic, falls der Australier mal wieder motiviert sein sollte) verdienen müsste.
Wawrinkas Steigerungslauf
Stanislas Wawrinka reiste nicht sorgenfrei in den «Big Apple». Den Romand zwickte es ebenfalls im Rücken, seit Wimbledon hat er nur zwei Matches gewonnen. Die Weltnummer 10 braucht ein gutes Resultat, um im Kampf um die erstmalige Masters-Qualifikation nicht ins Hintertreffen zu geraten. Mit Radek Stepanek (ATP 58), «Hometown-Boy» James Blake (ATP 100), Aufschlag-Gigant Kevin Anderson (ATP 20), Berdych und Murray entsprechen seine designierten Gegner bis und mit dem Viertelfinal einem wahren Steigerungslauf.
Serena Williams allein auf weiter Flur
Einmal mehr klar im Schatten steht das Frauentableau, wo nach dem Forfait von Maria Scharapowa erst recht alle Scheinwerfer auf Serena Williams, die Siegerin der letzten beiden Majors und Titelverteidigerin, gerichtet sind. Die Dominatorin schlechthin trifft in der ersten Runde mit Francesca Schiavone ebenfalls auf eine Major-Championne und könnte im Achtel- respektive Viertelfinal von Sloane Stephens, respektive ihrer Schwester Venus getestet werden. Die Namen in der Setzliste auf den Positionen 2 bis 4 spielen zwar gutes Tennis, sind aber nicht gerade dazu angetan, das anspruchsvolle Publikum in Scharen in den Stadtteil Queens zu locken: Victoria Asarenka, Bezwingerin von Williams in Cincinnati, Agnieszka Radwanska und Sara Errani.
Stefanie Vögele (WTA 47), der es zuletzt nicht rund lief, startet gegen die Slowakin Anna Schmiedlova (WTA 107). Sie ist die einzige Schweizerin im Hauptfeld, da Romina Oprandi wegen ihren gravierenden Schulterproblemen schon früh absagte und Viktorija Golubic und Amra Sadikovic in der Qualifikation scheiterten.