Der Entscheid des Thurgauer Parlaments, Französisch erst auf Sekundarschulstufe zu unterrichten, hat in der Romandie und im Tessin heftige Kritik hervorgerufen. Die Konferenz des Bildungswesens der lateinischen Schweiz (CIIP) will notfalls den Bund anrufen.
Der Grosse Rat des Kantons Thurgau hatte am Mittwoch mit 71 zu 49 Stimmen gegen den Willen der Regierung eine Motion überwiesen, wonach der obligatorische Fremdsprachenunterricht aus dem Lehrplan der Primarschule zu streichen ist.
Dieser Entscheid hat bei den Mitgliedern der Konferenz des Bildungswesens der Romandie und des Tessins für «Bestürzung» und «Irritation» gesorgt, wie die CIIP mitteilte. Präsidentin der CIIP ist zurzeit die Waadtländer Erziehungsdirektorin Anne-Catherine Lyon (SP).
Die CIIP bedauere den Entscheid der Mehrheit des Thurgauer Parlamentes und teile die Äusserungen der Thurgauer Erziehungsdirektorin Monika Knill (SVP), dass sich der Thurgau damit innerhalb des schweizerischen Erziehungssystems isoliere und die Romandie brüskiere.
Das von der Schweizerischen Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) 2004 beschlossene Sprachenmodell 3/5 mit Englisch ab der dritten und Französisch ab der fünften Klasse sei staatspolitisch wichtig.
Die CIIP beobachte bereits seit mehreren Monaten mit Beunruhigung und Unverständnis die politischen Interventionen und heftigen Diskussionen rund um den Fremdsprachenunterricht, welche in einem Teil der deutschsprachigen Kantone geführt würden.
Für nationalen Zusammenhalt wichtig
Um den nationalen Zusammenhalt und die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu erhalten und zu festigen, seien gemeinsame, solidarische Anstrengungen aller Kantone unerlässlich. Die Vertreter des Bildungswesens der Romandie und des Tessins wünschen sich gemäss Mitteilung, dass der Entscheid des Thurgauer Parlamentes weder verwirklicht wird noch in anderen Kantonen Schule macht.
Die CIIP will sich im Rahmen der Schweizerischen Erziehungsdirektoren-Konferenz mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Fremdsprachenstrategie ausnahmslos umgesetzt wird. Andernfalls sähe sie sich gezwungen, den Bundesrat anzurufen.
In einem Interview mit der Tageszeitung «Le Temps» forderte der Walliser Nationalrat Mathias Reynard (SP), Lehrer und Mitglied der Bildungskommission des Nationalrats, den Bundesrat zum Handeln auf. So könnte beispielsweise über das Sprachengesetz klarer verlangt werden, dass das Lernen einer nationalen Sprache Vorrang gegenüber einer ausländischen Fremdsprache haben müsse. «Wir suchen dafür eine Mehrheit im Parlament bis im September», sagte er.
Verstoss gegen Verfassungsauftrag
Für den Zentralpräsidenten der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), Beat Zemp, verstösst der Thurgauer Parlamentsentscheid gegen den Verfassungsauftrag und gegen den Entscheid der Erziehungsdirektorenkonferenz.
«Die Frage der Fremdsprachen auf Primarstufe muss nochmals ernsthaft diskutiert werden», fordert Zemp in einem Interview mit der «Basler Zeitung». Denn die Bedingungen für zwei Fremdsprachen in den Primarschulen seien bisher nicht gegeben.
«Es braucht dringend Verbesserungen wie mehr Lektionen, angepasste Lehrmittel und einen Unterricht in Halbklassen», sagte Zemp. Deshalb plädiere der Lehrerverband für ein Zweisprachen-Angebot an der Primarschule, das von den Kindern je nach Leistungsvermögen genutzt werden könne.
Zwar stimme es «teilweise», dass Kinder mit zwei Fremdsprachen in der Primarschule überfordert seien. «Ein generelles Lernverbot auch für leistungsstarke Schüler ist sicher nicht die richtige Lösung.» Zemp sieht dadurch das Gebot der Chancengleichheit in Gefahr.
Muss Bund eingreifen?
Entweder einige sich die Erziehungsdirektorenkonferenz auf ein gemeinsames Konzept, ansonsten käme der Bund nicht darum herum, einzugreifen, sagte Zemp. Innenminister Alain Berset hatte im März im Nationalrat bereits angekündigt, er werde allenfalls von dieser Kompetenz Gebrauch machen.
Christoph Eymann, Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz EDK und baselstädtischer Erziehungsdirektor, sprach sich jedoch gegen eine Intervention des Bundesrates aus. «Jetzt sind wir, die Kantone, gefordert, eine gemeinsame Lösung zu finden», hatte Eymann am Donnerstag der Nachrichtenagentur sda gesagt. «Es wäre sehr unangenehm, wenn wir als Verantwortliche das nicht schaffen würden und der Bund intervenieren müsste.»