Ruhm

Daniel Kehlmann hat mit seinem Roman «Ruhm» ein fulminantes literarisches Kaleidoskop um die Verwechslung von Handy-Nummern konstruiert. Wo immer man in seine neun Geschichten als Leserin einsteigt, jede wirkt wie ein Kommentar zu den fünf anderen, jede wird durch die andere bedingt, und jede wirkt, auf ihre Art, wie von einer anderen Welt. Magnolia lässt […]

Daniel Kehlmann hat mit seinem Roman «Ruhm» ein fulminantes literarisches Kaleidoskop um die Verwechslung von Handy-Nummern konstruiert. Wo immer man in seine neun Geschichten als Leserin einsteigt, jede wirkt wie ein Kommentar zu den fünf anderen, jede wird durch die andere bedingt, und jede wirkt, auf ihre Art, wie von einer anderen Welt. Magnolia lässt grüssen, und Inarritû winkt über den Gartenzaun.

Ein Mann kauft ein Handy Das Einsteigermodell. Das scheint den Mann nicht besonders zu entzücken. Er wirkt eher so, als hätte ihn der Lauf der Dinge dazu gezwungen, etwas zu tun, das er selber von sich nie gedacht hätte. Kaum hat er den Laden verlassen, klingelt es. Der Mann braucht eine Weile bis er begreift, dass er gemeint ist: Da ruft jemand ihn – ausgerechnet ihn an? Er bleibt vor einem grossformatigen Filmplakat stehen, und telefoniert zum ersten mal per Funk. Eine ihm völlig unbekannte Frau beschimpft ihn. Hinter ihm prangt ein übergrosses Filmplakat: «Verloren in der Wüste» – Da ahnen wir schon, dass der Mann bald noch weit verlorener sein wird.

Ein umschwärmter Schauspieler, von Heimo Ferch entwaffnend verloren gespielt, kommt mit seinem Leben nicht mehr klar. Als er in einer Doppelgängershow als sein eigener Doppelgänger gesehen wird, kann er der Versuchung nicht wiederstehen. Er  entschliesst sich etwas zu tun, was er von sich nie gedacht hätte: die Rolle seines Doppelgängers zu spielen.

Da gerät eine Krimischriftstellerin, nur weil ihr Kollege keine Lust hat, zu reisen, aus purem Zufall auf einer Reise in die totalitäre Vergangenheit tief in die neue Armut irgendwo in Zentralasien. Allein diese Episode, von Gabriela Maria Schwiede famos gespielt, lässt den Film im Kopf noch einmal neu entstehen.

Eine ältere Dame (Senta Berger reisst mit jeder Einstellung mit) ruft in Zürich an. Auch sie scheint von sich nicht gedacht zu haben, dass sie das dereinst tun könnte: sich zum Sterben anmelden. In nach Zürich angekommen, erfährt ihre Geschichte aber eine interessante Wendung: Der Autor ihrer Geschichte, hat es sich anders überlegt. Die Frau bleibt verschwunden. Während der Autor (verloren und wie immer brilliant: Stefan Kurt) seinen Preis entgegennimmt, belobt übrigens von keinem anderen als Daniel Kehlmann selbst, der, in listiger Konsequenz der Vorlage, auch gleich selber die Rolle des Laudators übernimmt – mit Sätzen aus den Kritiken zu seinem Buch!

Daniel Kehlmann hat mit seinem Roman «Ruhm» ein fulminantes literarisches Kaleidoskop um die Verwechslung von Handy-Nummern konstruiert. Wo immer man in seine neun Geschichten als Leserin einsteigt, jede wirkt wie ein Kommentar zu den fünf anderen, jede wird durch die andere bedingt, und jede wirkt, auf ihre Art, wie von einer anderen Welt. Magnolia lässt grüssen, und Inarritû winkt über den Gartenzaun.

Wir warten, wenn wir ein brillantes Buch nach der Lektüre weglegen, nur selten sehnlichst darauf, dass es uns als Film noch einmal heruntergelesen wird. Meist verliert verfilmte Literatur die Spuren, die wir dem Buch im Kopf gegeben haben. Allein das macht uns unglücklich. Die Zahl der gelungenen Verfilmungen ist nicht gerade Legion, wahrscheinlich weil die gelungenste Verfilmung immer schon in unserem Kopf stattgefunden hat, und wir uns nur selten im Kopf von anderen wiederfinden, was für uns Hand und Fuss hat.

Wenn ein Buch Sprachwitz und literarische Raffinesse so geglückt mit feuilletonistischem Schwung verbindet, wie der «Ruhm» von Kehlmann, fürchten wir gar den Augenblick ein wenig, wenn das Licht im Kino ausgeht. Wird hier erneut ein Buch bloss vereinfacht? Wird die witzige Sprach- und Situationskomik verallgemeinert? Wird das Buch einmal mehr umgesetzt, und nicht übersetzt?

Isabel Kleefeld hat fast alle Fäden, die das Buch einem Drehbuch bietet, aufgenommen, und fast alle Fallen umgangen: Sie bindet ihre Bilder als gleichberechtigte Partner zum Text in die filmische Narration ein, sie überlässt die sprachlichen Pointen, wie nebenbei, ganz der geneigten Zuhörerin, reizt die Situationskomik gerade so weit aus, als sie sich an den Schauspielern noch entdecken lässt, sie macht eben das, was beim Lesen des Buches so fordert – sie lässt uns die Zusammenhänge selber entdecken, sie lässt die Bilder ihre eigene Sprache entwickeln, und trägt eine ganze Reihe von filmischen Apercus zu den literarischen Findungen der Vorlage bei. Kleefeld bleibt, wenn sie auch oft auf die Fernsehzuschauer schielt, ganz dem wunderbaren Ensemble von Aberwitz und Tiefsinn verpflichtet. Sie hat Kehlmann dorthin übersetzt, wo er hingehört, ins Kino der Erfindungen.

Die Menschen in Kehlmann sind nämlich nicht nur seine Erfindungen. Es sind auch Menschen, die sich gern selber erfinden, mal aus Not, mal beruflich gereizt, mal gar als Opfer anderer. Haben wir im Buch dies noch selber entdecken dürfen, so gestattet uns der Film, den Schauspielern nun dabei zugucken, wie sie Figuren erfinden, die das tun, was mediale Menschen eben tun: Sich immer wieder neu erfinden.

Da flieht einer vor seinem Ruhm, ein andere schlüpft geradezu verliebt in ihn hinein, eine andere sucht einen unrühmlichen Abgang, während eine dritte ruhmlos untergeht.  Zuletzt bleibt es dem Autor Richter in der Berühmtheit vorbehalten, die Trennlinie des Ruhms zu ziehen: Was man vor der Erringung von Ruhm an Geringschätzung erfährt, muss man danach erst wieder an Überschätzung abarbeiten.

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