Bei einer landesweiten Grossrazzia gegen mutmassliche Regierungsgegner in der Türkei sind am Dienstag rund hundert ranghohe amtierende und ehemalige Polizisten festgenommen worden. Ihnen wird unter anderem Korruption und Amtsmissbrauch vorgeworfen.
Nach der Durchsuchung von mehr als 200 Einrichtungen allein in Istanbul war auf Fernsehbildern zu sehen, wie die Verhafteten in Handschellen abgeführt wurden. Türkische Medien sprachen von einem gezielten Schlag gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen.
Allein 40 derzeitige und frühere Führungskräfte der Polizei wurden Fernsehberichten zufolge in Istanbul festgenommen, darunter zwei ehemalige Leiter der städtischen Anti-Terror-Einheit, Yurt Atayun und Ömer Köse. Atayun bezeichnete seine Verhaftung als «politisch motiviert».
Am frühen Morgen gab es Razzien in 22 Städten der Türkei, wie die Tageszeitung «Hürriyet» berichtete. Durchsucht wurden auch Objekte in der Hauptstadt Ankara sowie in Izmir und Diyarbakir.
Erdogan angeblich abgehört
Nach übereinstimmenden Medienangaben werden den Festgenommen Spionage, illegale Telefonüberwachung, Dokumentenfälschung, Verletzung der Privatsphäre, Beweisfälschung sowie die Preisgabe von Ermittlungsinformationen vorgeworfen.
Nach Angaben der Ermittlungsbehörden sollen tausende Zielpersonen abgehört worden sein, darunter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, verschiedene Minister und der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan.
Zusätzliche Brisanz erhält die Razzia durch die bevorstehende Präsidentschaftswahl am 10. August, bei der sich Erdogan ins höchste Staatsamt wählen lassen will.
Seine islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) trägt einen Machtkampf aus mit der Bewegung des im US-Exil lebenden Gülen, der besonders in Justiz und Polizei über zahlreiche Ergebene und landesweit sogar über Millionen Anhänger verfügen soll.
Wegen eines angeblichen Komplotts des Gülen-Netzwerks gegen seine Regierung liess Erdogan schon tausende Polizisten, Richter und Staatsanwälte zwangsversetzen oder entlassen.
Erdogan verlangt Auslieferung von Gülen
Am Montagabend hatte Erdogan in einem Fernsehinterview angekündigt, den Kampf gegen die Gülen-Bewegung fortzusetzen. Von den USA verlangte der seit elf Jahren regierende Ministerpräsident die Auslieferung des Predigers.
«Ich erwarte von den Vereinigten Staaten, dass sie zu der Gülen-Sache Stellung beziehen», sagte Erdogan. Im türkischen Parlament sagte Erdogan am Dienstag, er erwarte eine nochmalige Ausweitung der Ermittlungen. Und: «Wir gucken erstmal, was dabei herauskommt.»
Als einstige Verbündete hatten Erdogan und Gülen die politische Landschaft der Türkei verändert, die jahrzehntelang von säkularen Regierungen und der mächtigen Armee geprägt worden war.
Weil ihm ein Prozess drohte, setzte sich Gülen 1999 schliesslich in die USA ab. Er bestreitet jedoch, hinter den Korruptionsvorwürfen gegen Erdogans Regierung zu stehen und einen verschwörerischen «Parallelstaat» aufgebaut zu haben.