Zum 75. Geburtstag schildern wir Al Pacinos Karriereweg: von «The Godfather» über «Scarface» bis «Scent of a Woman».
Die Rolle als Corleone-Dauphin, der den Clan durch die Stürme der Clankriege rettet, bestimmte seine Filmkarriere von Anfang an. Aber Al Pacino kann einiges mehr als Mafia. Zum 75. Geburtstag schildern wir seinen Karriereweg vom gelernten Bühnenschauspieler über den «Method Actor» bis zu einem der vielseitigsten Darsteller im US-Gangsterfilm.
1. «The Godfather», 1972
Ein Gigant. Nicht nur der Film, sondern auch der Schatten desjenigen, aus dem sich Al Pacino hinaus entwickeln musste. Marlon Brando spielte in einer seiner mächtigsten Rollen den Familienpatriarch, der mit heiserer Stimme und herrisch langsamen Bewegungen über ein Gangsterimperium, vor allem aber über seinen Clan herrscht. Al Pacino, damals als Schauspieler noch ein Niemand, war als jüngster der drei Söhne Don Corleones als Stammhalter ausersehen. Eine Rolle, der er sich zuerst widersetzt, sich jedoch nach einem versuchten Mordanschlag auf den Übervater mit erbarmungsloser Härte in sie hinein schickt. Ein Epos von drei Stunden in Shakespearscher Dimension mit Al Pacino als tragischem Held, und ebenso eine langsame, dunkle, fotografisch überwältigende Milieustudie über uramerikanische Karrieren, über Verbrechen, Schmuggel, Rauschgift, vor allem aber über einen gnadenlosen Ehrbegriff. Regisseur Coppola hat die Corleone-Saga zu einem Dreiteiler ausgebaut, in dessen Lauf der junge Don nacheinander alle seine Feinde töten lässt, dabei jedoch seine Menschlichkeit verliert – und schliesslich auch seine Familie: Im abschliessenden dritten Teil hat ihn seine Frau längst verlassen, der Sohn geht eigene Wege als Opernsänger, und die Tochter wird schliesslich in den Strudel der verbrecherischen Familiengeschäfte hineingezogen. Ein düsteres, hoffnungsloses Ende, an dessen Schluss der gealterte Don einsam vom Stuhl kippt. Noch heute bilden die Corleone-Filme die absolute Referenzgrösse für alle Mafia-Filme – Pacinos spätere Rollen inklusive.
2. «Serpico», 1973
Von der Mafia zur Mafia. Formell hatte Pacino mit seinem zweiten grossen Film die Seiten gewechselt und spielte nun einen aufrechten Cop anstelle des mächtigen Unterweltbosses. Aber besser ist das Milieu nicht: im New York Police Department der 1960er-Jahre herrschen Gotham-mässige Sitten. Misshandlungen, Mobbing, Korruption. Wer nicht mitmacht, wird geschnitten. Frank Serpico ist so einer, und jedes Mal, wenn er sich bei den Vorgesetzten beklagt, verkommt er mehr zu frustrierten Aussenseiter. Als an höchster Stelle die Missstände auffliegen, eine Untersuchung in Gang kommt und Serpico endlich die erwünschte Beförderung erhält, lehnt er desillusioniert ab. Die Aura des Films von Regisseur Sidney Lumet ist derart düster-realistisch, weil die Geschichte echt ist: Der echte Frank Serpico ist noch heute eine kritische Stimme gegen unethisches Verhalten der Polizei. Für Hollywood kam die Story zur richtigen Zeit: «Serpico» gilt als einer der Klassiker des New Hollywood Cinema, das mit Realismus, Gesellschaftskritik, mehrschichtigen Charakteren und mehrschichtigen Erzählformen das traditionelle Heldenkino Hollywoods unterlief. Stilprägend, bis heute. Auch dank der gehetzten, fortlaufend finsterer werdenden Darstellung der Titelrolle durch Al Pacino.
3. «Dog Day Afternoon», 1975
Es ist heiss an diesem Nachmittag in New York, brutal heiss. Die Anzüge kleben an der Haut, die Gewehrkolben rutschen in den schweissnassen Händen, die Nerven liegen blank. Ein Trio plant einen Banküberfall, der erste läuft nach ein paar Minuten verstört wieder davon. Die anderen beiden, Sonny (Al Pacino) und Sal (John Cazale, der in den ersten beiden «Godfather»-Filmen als Fredo Corleone bereits mit Pacino drehte) stellen fest, dass der Tresor nahezu leer ist – und nehmen Kunden und Angestellte der Bank als Geiseln, um in den Verhandlungen mit der Polizei einen Fluchtflug nach Algerien herauszupressen.
Das ist nur die Rahmenhandlung, die wie «Serpico» ebenfalls auf einem wahren Fall beruht. Hinter diesem Stand-Off entwirft Regisseur Sidney Lumet nicht nur ein scharf beobachtetes Abbild der gesellschaftlichen Durchmischung New Yorks, sondern rührt Themen an, die neu sind im Gangsterfilm: Homo- und Transsexualität. Seine Frau, mit der Sonny während der Belagerung der Bank telefonisch sprechen will, entpuppt sich als ein Transsexueller, dessen Geschlechtsumwandlung Sonny mit der Beute zu finanzieren gedachte. Pacino hatte wegen diesem Subtext die Rolle fast abgelehnt, weil er sich – es sind noch immer die 1970er-Jahre – um sein schauspielerisches Image sorgte. Herausgekommen ist stattdessen ein Klassiker, nicht nur im Gangsterfilm, sondern ebenso in Pacinos Palmares.
4. «Scarface», 1983
Dass Pacino den Mafiachef kann, hat der bereits als Don Corleono allen gezeigt. «Scarface» darf dennoch in seiner Hitliste nicht fehlen. Anders als Coppolas fast kammerspielerisches, bedächtiges Drama um Vertrauen und Vergeltung hat Brian De Palma mit «Scarface» den Mafiafilm als ein überdrehtes Knalltheater gestaltet. Alles an diesem Film ist exzessiv: das helle Licht und die bunten Farben von Miami, die derbe Sprache, und nicht zuletzt die Gewalt. Die Geschichte des kubanischen Emporkömmlings Tony Montana (Pacino) im Florida der 1980er-Jahre, der sich über zahlreiche Leichen zum Kokainkönig der Stadt emporballert und erst sein Leben überdenkt, als seine Feinde bereits mit Sturmgewehren und Granatwerfern durch seine barocke Kitschvilla schleichen, ist eine Zäsur des Gangsterfilms. Weg von Schlapphüten im Schatten, näher an die Strasse, ins schillernde Leben, und nicht zuletzt in die Popkultur
5. «Scent Of A Woman», 1992
Al Pacinos Galavorstellung. Frank Slade ist ein hoch dekorierter Kriegsveteran, jedoch ebenfalls ein mürrischer, zum Jähzorn neigender alter Mann, der überdies sein Augenlicht verloren hat. Freude findet er einzig in der Gesellschaft von Frauen, die er jeweils schon auf seiner Seite hat, weil er stets ihr Parfum erkennt. Diesem alten Misanthrop soll ein junger Student, der sich gerade bemüht, seinen Platz an einer Eliteuniversität nicht zu verlieren, als Betreuer während eines Wochenendausflugs nach New York dienen. «Scent Of A Woman» ist, unterschwellig, ein Portrait einer reifenden Freundschaft zwischen einem bescheiden höflichen und einem herrisch verbitterten Mann, vor allem aber ein Schaulaufen Pacinos, den der Film nie aus dem Fokus verliert. Für die Rolle als Frank Slade erhielt der den Oscar, beschämenderweise seinen einzigen bisher. Unter anderem für diese Szene.
6. «Heat», 1995
Sie spielten schon im zweiten Teil von «The Godfather» im gleichen Film, aber es dauerte bis in die 90er Jahre, als diese beiden Schwergewichte des Gangsterfilms und des US-Kinos für gemeinsame Szenen vor die Kamera traten. «Heat», Michael Manns einsames Meisterwerk, erscheint dabei wie eine Verdichtung ihrer bisherigen Rollenkarrieren. Cops und Gangsters, Kanonen und Kokain, totale Hingabe ans Geschäft und zerrüttete Beziehungen zu den Frauen. Al Pacino als Cop spielt den besessenen Aufklärer, De Niro als Gangsterboss den übervorsichtigen Pläneschmieder auf halbem Weg in die Paranoia, der bis ins letzte Detail an seinen Überfällen tüftelt und dennoch nicht verhindern kann, dass die Dinge eskalieren. Das steuert am Ende, folgerichtig, auf ein dramatisches Stand-Off zu, gespielt von «Americas two most electrifying actors» in totaler Hingabe. Der Klassiker des Gangsters & Bullets-Kinos der Neunziger Jahre.
7. «The Merchant Of Venice», 2004
Als Abschluss noch etwas ganz anderes. Ohne Knarren, ohne Drogen, ohne Gangster. Pacino, der ursprünglich aus dem Theater stammt, ist immer wieder auf die Bühne zurückgekehrt. Dass er mal in einer der vielen Shakespeare-Verfilmungen zu sehen sein würde, war zu erwarten. Und in was für einer: Pacino spielt den jüdischen Geldverleiher Shylock im antijüdischen Venedig des 16. Jahrhunderts – ein bereits halbwegs gebrochener Mann, dem die Diener und Töchter zu den Christen davon laufen, und der nach einem Prozess, den er als Wiedergutmachung für verlorenes geliehenes Geld anstrengt und der sich gegen ihn kehrt, als Ausgestossener und Verachteter endgültig innerlich zugrunde geht. Die Verfilmung von Shakespeares Stücks, das hier sowohl in Kostümierung als auch Sprache sehr getreu umgesetzt wird, ist weniger als Klage über den Antijudaismus (der in Shakespeares zeitgenössischer Gesellschaft die Norm war) angelegt. Stattdessen hält der Film das Gegensatzpaar Gnade gegen Recht im frühneuzeitlichen Rechtswesen vor, in dem der Jude nur verlieren kann. Pacino spielt einen durch unzählige Demütigungen verhärteten Shylock, der sich starr ans Recht hält – das einzige Instrument, das ihn auf Augenhöhe mit der restlichen Gesellschaft hievt. Ein Recht, dass schliesslich ebenso erbarmungslos wieder gegen ihn wendet. Eine grosse tragische Figur, gespielt von einem emphatisch aufgewühlten Pacino.