Die SBB versprechen von ihrer harten Praxis abzurücken und Reisende ohne Billett nicht mehr in jedem Fall knallhart zu bestrafen. Eine Entwarnung an Reisende ohne oder mit falschem Billett ist das aber nicht.
Die SBB reagieren auf die anhaltend breite Kritik und versprechen kulanter zu werden. «Ich möchte nicht, dass langjährige und treue Kunden für ein Missgeschick in jedem Fall gebüsst werden. Gerade sie haben eine angemessene Kulanz verdient», lässt sich SBB-CEO Andreas Meyer in der Medienmitteilung zitieren. So sind etwa Online- und Mobile-Billette, die erst bei der effektiven Abfahrt des Zuges gelöst werden, neu gültig. Bisher galt als «Reisender ohne gültigen Fahrausweis», wer nach der fahrplanmässigen Abfahrt sein Billett löste,.
Auch wer ein Online- oder Mobile-Ticket gelöst hat, dieses aber nicht vorweisen kann, weil etwa der Akku des Handys leer ist oder der Reisende das Online-Ticket vergessen hat, soll nicht mehr genauso wie ein Schwarzfahrer behandelt werden. Er zahlt neu eine Gebühr von dreissig Franken. Damit korrigiert die Bahn die kundenfeindlichsten Bestimmungen der elektronischen Billette. Die vielleicht wichtigste Änderung: Der Ermessensspielraum der Kondukteure soll wieder vergrössert werden, damit sie in «begründeten Einzelfällen» Kulanz walten lassen können.
Aus den negativen Schlagzeilen
Das ist eine deutliche Abkehr von der harten Linie gegenüber den Kundinnen und Kunden, mit der sich die SBB viel Goodwill verspielt und für negative Schlagzeilen gesorgt haben. Etwa als die BBC-Journalistin Imogen Foulkes den Landsleuten in einer sehr populären Sendung ihre Erfahrungen mit der harten Gangart der Schweizer Bahn schilderte. Die Journalistin erzählte, wie sie an einem Morgen vor einem defekten Billettautomaten stand und deshalb mit ihrem Smartphone ein Billett löste. Als sie dann im Zug stolz ihr E-Ticket präsentierte, erklärte ihr die Kondukteurin, das Billett sei nicht gültig. Die Zahlungsbestätigung ihrer Kreditkarte sei erst nach fahrplanmässiger Abfahrt des Zugs eingetroffen.
Machte einen Zuschlag von 90 Franken und das Billett war auch noch einmal fällig: total 190 Franken. Bei der TagesWoche beklagten sich zahlreiche Bahnkunden über die fehlende Kulanz: Einem Leser wurde im Zug das Portemonnaie gestohlen, eine Leserin reiste einen Tag früher zum Flughafen, ein Dritter konnte mit dem Handy kein Billett lösen, weil der SBB-Server eine Störung hatte. Sie alle wurden von der Bahn wie Schwarzfahrer behandelt.
«Klima in den Zügen wird wieder besser»
Doch nicht jeder könne jetzt mit dem neuen Regime, das ab 1. Juni 2013 gilt, automatisch mit Kulanz rechnen. Dies bestätigt Andreas Menet, Präsident des Zugpersonals beim Schweizerischen Eisenbahnerverband SEV. «Wir begrüssen, dass unser Ermessensspielraum grösser wird, und wir nicht mehr zwingend in jedem Fall Reisende büssen müssen. Aber die Billettpflicht gilt nach wie vor», sagt der Vertreter der Gewerkschaft. Neben den Umständen spielten dabei auch immer weiche Faktoren eine Rolle, etwa in welchem Ton sich ein Reisender den Zugbegleitern erkläre.
Auch Kurt Schreiber, Präsident des Vereines Pro Bahn, begrüsst die Änderung. «Ein Schritt in die richtige Richtung. Damit wird das Klima in den Zügen wieder besser», ist er überzeugt. Er sei froh, dass die Bahn vermehrt differenziere und nicht mehr jeden Kunden, der kein gültiges Billett vorweisen könne, gleich als Schwarzfahrer behandle. Der Verband hatte in einer Resolution bereits Mitte April mehr Augenmass bei der Billettkontrolle gefordert. Der Entscheid, künftig kulanter gegenüber den Bahnreisenden aufzutreten, dürfte der SBB auch deshalb nicht allzu schwer gefallen sein, weil sie Reisende wieder zurückgewinnen möchte, die sie letztes Jahr an die Strasse verloren hat.