Ein kurzer Gruss, ein Blick ins Auto. Dem Polizisten am Checkpoint auf dem Grüenbödeli zwischen Klosters und Davos bleiben nur wenige Sekunden. Dann muss er entscheiden, ob der Fahrer kontrolliert wird.
Dafür gibt es kein Handbuch. «Er entscheidet allein, und er muss sich ganz auf seinen Polizeiinstinkt verlassen», erklärt Roberto Jörger, Chef der drei Kontrollposten an den Zufahrtsstrassen zum WEF. Jede Limousine, jeder Lieferwagen wird angehalten, die meisten können weiterfahren. Nur ein Bruchteil der vielen tausend Fahrzeuge, die derzeit täglich Richtung Davos unterwegs sind, wird unter die Lupe genommen. Eine Ausnahme gibt es nur für die Konvois der gekrönten Häupter oder Staatschefs, die ans Weltwirtschaftsforum (WEF) unterwegs sind.
Röntgenanlage und Sprengstoffhunde
Oft sind es junge Männer oder die Fahrer von Lieferwagen, deren Personalien auf dem Grüenbödeli kontrolliert und mit den Datenbanken der Polizei abgeglichen werden. Zwei Angehörige des Grenzwachtkorps durchleuchten Gepäck und Waren mit einer mobilen Röntgenanlage, die einen ganzen Lastwagen füllt. «Sie sind es auch, die jedes Versteck in einem Auto kennen», meint Jörger anerkennend. Falls nötig, können in Davos Sprengstoffspürhunde angefordert werden.
Dem Polizisten am Kontrollpunkt sticht der Fahrer eines alten Peugeots ins Auge. Schon der Kleinwagen fällt auf zwischen den Luxuslimousinen und SUVs. Ausserdem ist das Auto bis unters Dach voll mit Bühnentechnik. Der Fahrer wird zur Seite gewinkt, sofort scharen sich in der Kälte mehrere Polizisten um den Wagen. Die Papiere werden kontrolliert, das persönliche Gepäck wird durchleuchtet, die Ladung hingegen bleibt im Auto.
Der Zürcher nimmt es gelassen. «Normalerweise bin ich mit dem Geschäftsauto unterwegs. Das private Auto mit der Ware fällt natürlich mehr auf», sagt er. Trotzdem ist er froh, als er nach der Kontrolle weiterfahren kann. «Ich bin ohnehin schon zu spät», erklärt er im Wegfahren.
Nur kleine Fische
Manchmal finden die Polizisten Drogen, Messer, Baseballschläger. Manchmal geht ihnen eine Person ins Netz, die zur Verhaftung ausgeschrieben ist. Selten wird jemandem die Weiterfahrt nach Davos verweigert. «Das war früher, als es noch grosse Demonstrationen gab, öfter der Fall», erklärte Jörger. Der Wegweisungsentscheid wird von der Einsatzleitung in Davos gefällt, die auch im Kontakt steht mit dem Nachrichtendienst des Bundes.
Doch besetzt das Grossaufgebot der Polizei nicht das Eingangstor nach Davos, um kleine Fische zu fangen. Eigentlich geht es um Terroristen, die es auf das Treffen der Reichen und Mächtigen in Davos abgesehen haben. Wegen ihnen Kreisen die Kampfjets am Himmel, wegen ihnen liegen Scharfschützen auf den Dächern, wegen ihnen lauern in den Seitenstrassen Einsatzfahrzeuge voller Bewaffneter.
Nach dem Angriff auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» in Paris waren die Sicherheitsmassnahmen schon vergangenes Jahr verschärft worden. Inzwischen ist die Terrorgefahr in Europa weiter gestiegen, es wurden Anschläge mit Sprengstoff verübt. Und bei der Sicherheit wurde die Schraube angezogen.
Das Kontrollnetz, zu welchen auch Posten im Landwassertal und in Fideris gehören, wurde dieses Jahr früher eingerichtet, die Kontrollen wurden rascher aufgenommen. Polizisten fahren in den Zügen mit, überwachen die Bahnhöfe. Wie viele Beamte im Einsatz sind, bleibt wie immer geheim.
Polizei in Rücklage
Trotz der geballten Staatsmacht macht sich Jörger keine Illusionen. Die Leute, nach denen man Ausschau halte, seien wahrscheinlich besser ausgerüstet als die Polizei, möglicherweise auch besser trainiert. «Vielleicht sind sie sogar das Töten gewohnt. Das sind wir glücklicherweise nicht», sagt er.
Das bringt die Polizei gegenüber einem entschlossenen Dschihadisten in Rücklage. Aber hundertprozentige Sicherheit gebe es ohnehin nicht, sagt Jörger. Doch die Polizei könne Präsenz markieren. «Man soll wissen, dass wir bereit sind.»
Damit sind die potenziellen Terroristen gemeint, aber durchaus auch die einheimische Bevölkerung und die WEF-Gäste. Denn mit der Bedrohung ist auch das Bedürfnis nach Sicherheit gewachsen – subjektiver Sicherheit, wie es im Behördenjargon heisst.
Keine Idylle in Davos
In Davos selber begegnet man diesem Bedürfnis mit sichtbarer Polizeipräsenz. Bisher war es am WEF üblich, dass die Polizei den Verkehr regelte und sich im Übrigen im Hintergrund hielt. Niemand wollte einen waffenstarrenden Tagungsort.
Mit dem Idyll ist es vorbei. Am WEF 2016 patrouilliert die Polizei schwer bewaffnet auf den Strassen. Alle paar Schritte blicken die Passanten in den Lauf einer vollautomatischen Waffe. Nicht alle fühlen sich dadurch sicherer. Doch die meisten Davoser zucken, auf die Polizeipräsenz angesprochen, bloss mit den Schultern: Sie hätten sich schon vorher nicht bedroht gefühlt und täten es auch jetzt nicht.