Die in Ägypten regierenden Islamisten um Präsident Mohammed Mursi haben vor dem obersten Verfassungsgericht eine schwere Niederlage erlitten. Die Richter sprachen dem von Muslimbrüdern und Salafisten dominierten Senat, dem sogenannten Schura-Rat, die Legitimität ab.
Das Gesetz zur Wahl der Mitglieder des Schura-Rates habe gegen die Verfassung verstossen, hiess es in der Begründung des ägyptischen Verfassungsgerichts. Mit der Gerichtsentscheidung steht Ägypten erneut vor einer unsicheren politischen Zukunft, nachdem es in den vergangenen Monaten immer wieder Streit um die Rechtmässigkeit der obersten Staatsorgane gegeben hatte, der zum Teil von blutigen Auseinandersetzungen begleitet wurde.
Erst im Juni vergangenen Jahres war das Abgeordnetenhaus aufgelöst worden, nachdem das Verfassungsgericht seine Wahl wegen formaler Fehler im Wahlgesetz für ungültig erklärt hatte. Da es damit seit rund einem Jahr keine zweite Parlamentskammer gibt, ist der Senat derzeit das einzige gesetzgebende Organ.
Senat darf vorläufig fortbestehen
Der Senat könne bis zur Wahl eines neuen Parlaments vorläufig fortbestehen, entschied nun der Präsident des Verfassungsgerichts, Maher al-Beheiri. Unklar war aber zunächst, ob der Senat bis dahin weiter Gesetze erlassen darf. Derzeit arbeitet die Schura unter anderem auch an einem neuen Wahlgesetz.
Das ägyptische Präsidialamt erklärte nach dem Urteil, der Schura-Rat werde alle seine Befugnisse bis zur Wahl eines neuen Parlaments behalten und dürfe damit auch weiterhin Gesetze erlassen. Ein Sprecher der Partei Freiheit und Gerechtigkeit der Muslimbrüder sagte, dass der Schura-Rat seine Arbeit fortsetzen solle, damit kein «gesetzgeberisches Vakuum» entstehe.
Der Politikprofessor der Universität Kairo, Mustafa Kamel al-Sajjed, erklärte hingegen, der Senat dürfe nun keine Gesetze mehr erlassen, da diese sonst angefochten würden. Aus anderen Quellen hiess es, die Gesetzgebung des Rates sei auf die Organisation der nächsten Wahlen beschränkt.
Auch Verfassungskommission unrechtmässig
Das Verfassungsgericht erklärte zudem am Sonntag die Verfassungskommission für unrechtmässig. Diese hatte die im Dezember verabschiedete Verfassung ausgearbeitet. Justizkreisen zufolge bleibt die Verfassung, die islamischen Religionsgelehrten mehr Befugnisse einräumt, jedoch gültig, da sie mit Hilfe einer Volksabstimmung in Kraft getreten sei.
Die Verfassung hatte zuletzt für heftige Auseinandersetzungen zwischen den überwiegend islamistischen Anhängern Mursis und liberalen Oppositionellen gesorgt, die kritisierten, dass der Text nicht alle Ägypter repräsentiere und Freiheiten beschneide. Der Streit führte zu den schwersten Krawallen seit dem Volksaufstand im Jahr 2011.
Krise für Mursi und Muslimbrüder
Das Urteil vom Sonntag bedeutet für Präsident Mohammed Mursi und die Muslimbrüder eine Krise. Sie wollen mit Hilfe des Senats mehrere Gesetze verabschieden, von denen sie fürchten, dass sie sie nicht durch ein neugewähltes Parlament bringen können.
Friedensnobelpreisträger und Oppositionsführer Mohammed El Baradei erklärte über Twitter, dass die Entscheidung der Richter absehbar gewesen sei. Nun sei es nötig, ganz von vorne anzufangen und einen Konsens zu finden, um das Land vor dem Kollaps zu bewahren.