Am Freitag wurde Andy Schmid zum dritten Mal in Folge zum «Spieler der Saison» in der deutschen Bundesliga gewählt. Am Sonntag will der Zürcher mit Rhein-Neckar den Meistertitel holen.
«Ich will diese Schale endlich in der Hand halten.» Für Andy Schmid ist in der Handball-Bundesliga das Happy End absehbar, die Meister-Premiere mit den Rhein-Neckar Löwen steht unmittelbar bevor. Ein Sieg mit der Mannheimer Equipe am Sonntagnachmittag beim als Absteiger feststehenden TuS N-Lübbecke – und Schmids grösster Triumph ist perfekt.
Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» erkennt im raffinierten Spielmacher mehr als den genialen Strippenzieher. Für den FAZ-Spezialisten ist der kompletteste Schweizer Handballer «das Superhirn der Rhein-Neckar Löwen».
Vor der medialen Laudatio hatte die Prominenz bereits im Februar zum Ritterschlag ausgeholt. Der Flensburger Coach Ljubomir Vranjes, mit Schweden als zentraler Aufbauer Welt- und Europameister, übermittelte dem Chef der Löwen das Kompliment des Jahrzehnts: «Er ist in meinen Augen derzeit der beste Spieler der Welt. Der steuert alles, macht besondere Sachen nicht nur einmal, sondern 20-mal hintereinander.»
Der Schwede übertreibt nicht. Der zweifache MVP hat eine neue persönliche Dimension erreicht. 211 Skorerpunkte seit der letzten Sommerpause verdeutlichen seinen Wert. Einzig der SHV-Rekordhalter Marc Baumgartner, 1997 und 2003 Meister mit dem TBV Lemgo, genoss in Deutschland vor Jahren einen vergleichbaren Stellenwert.
Trauma überwunden?
Im sechsten Bundesliga-Jahr will Schmid endgültig zur ersehnten Trophäe greifen. Zweimal verpasste Rhein-Neckar den Titelgewinn in den vergangenen 24 Monaten um Haaresbreite – 2014 am letzten Tag wegen zwei Plustoren zu wenig, eine Saison später fehlten zwei Punkte; der Rekordchampion THW Kiel feierte, in Baden-Württemberg trauerten sie einer weiteren verpassten Chance nach.
Vor allem das Trauma von Gummersbach beschäftigte den Verein aus Mannheim extrem lange. Die Berliner Füchse hatten sich in Kiel auf dem Weg zum 23:37 nahezu widerstandslos vorführen lassen, derweil die Löwen den VfL «nur» mit 40:35 besiegten. So knapp vor der Ziellinie noch abgefangen zu werden, tat weh.
Schmid erinnert sich: «Dieser schreckliche Tag hat sich in unseren Köpfen eingebrannt. Dass uns Kiel am letzten Spieltag noch überholte, hinterliess eine tiefe Narbe, die immer wieder zu spüren war.» Nun bahnt sich eine rauschende Party an, mit der im Vorfeld der Meisterschaft nicht zu rechnen war.
Rhein-Neckar musste finanziell zurückbuchstabieren und wirtschaftet nicht mehr mit dem gleichen Volumen wie die beiden renommierten Handball-Organisationen Flensburg und THW Kiel. Der Transfer des dänischen Weltklasse-Keepers Niklas Landin zum Rivalen Kiel erschwerte die bereits mehrjährige Mission zusätzlich, über eine Dekade nach dem Aufstieg gleich beide Giganten aus dem Norden abzuschütteln.
Vielleicht hätten sie die bitteren Lektionen der jüngeren Vergangenheit begriffen, mutmasst Schmid. «Wir mussten lernen, dass die Meisterschaft nicht in den Topspielen entschieden wird, sondern dort, wo man gemäss Papierform keine Punkte abgeben darf», so der Regisseur gegenüber der Nachrichtenagentur sda.
Einzig gegen Flensburg (2.), Kiel (3.), Melsungen (4.) und Berlin (5.) büsste Schmids «Löwen-Rudel» Terrain ein. Gegen die übrigen Kontrahenten ausserhalb der Top 5 erkämpfte sich der designierte Meister das Maximum von 54 Punkten – im eigenen Stadion verlor die Nummer 1 nur eine von 16 Partien.
Meisterstück in Wetzlar
Im abschliessenden Duell mit dem Absteiger TuS N-Lübbecke wird der Leader nach sportlichem Ermessen nicht mehr vom Meisterkurs abkommen. Schmids Prognose fällt entsprechend aus. «19 von 20 Spielen gewinnen wir gegen dieses Team.» Er hoffe, dass die Equipe des früheren Schweizer Nationalcoachs Goran Perkovac «uns nicht mehr in die Suppe spuckt».
Schmid denkt, die Nervosität sei zu verkraften. Aber den immensen Druck habe er im letzten Viertel der Meisterschaft schon zu spüren bekommen. «Manchmal konnte ich kaum mehr abschalten», gibt der 32-Jährige zu. Das Umfeld schraubte die Erwartungen enorm in die Höhe. «Für die entscheidenden Spiele hätten wir über 20’000 Tickets absetzen können.»
Der Schweizer hielt der Belastung im Bundesliga-Finish ausnahmslos stand. Im vorletzten Spiel in Wetzlar (23:19) markierte der überragende Mittelmann für den temporär angezählten Favoriten gegen den Europameister-Keeper Andreas Wolff sieben der letzten neun Löwen-Tore. «Er hat die ganze Mannschaft auf seinen Rücken genommen», kommentierte Trainer Nikolaj Jacobsen das (mögliche) Meisterstück Schmids, der nun bereits dreifacher Bundesliga-MVP ist.