Im Asbest-Prozess gegen den Schweizer Industriellen Stephan Schmidheiny und den Belgier Jean-Louis de Cartier hat das Gericht in Turin am Montag seine Urteilsbegründung veröffentlicht. Nach Auffassung des Gerichts haben die beiden die schädliche Wirkung von Asbest gekannt, jedoch nichts dagegen unternommen.
Der 64-jährige Schmidheiny und der 91-jährige de Cartier de Marchienne waren Mitte Februar in erster Instanz zu jeweils 16 Jahren Gefängnis sowie Schadenersatzzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe verurteilt worden. Beide haben angekündigt, das Urteil weiterziehen zu wollen.
Nach Überzeugung des Gerichts in Turin hatten die beiden ehemaligen Mitbesitzer der Eternit S.p.A. (Genua) absichtlich eine Umweltkatastrophe verursacht. Zudem haben sie demnach mit Absicht Sicherheitsmassnahmen in zwei italienischen Eternit-Fabriken in Cavagnolo und Casale Monferrato nicht eingehalten. Bei zwei weiteren Eternit-Fabriken hatte das Gericht die Fälle als verjährt erachtet.
Eventualvorsatz
In ihrem 733 Seiten starken Urteil geht das Gericht beim Verhalten Schmidheinys und de Cartiers von einem „Eventualvorsatz (dolo) von hoher Intensität“ aus. Beide ehemaligen Mitbesitzer haben nach Ansicht des Gerichts, asbestverursachte Todesfälle und Krankheiten sowie Umweltschäden billigend in Kauf genommen.
Beide hätten von den mit Asbest verbundenen Problemen gewusst, schrieb Richter Giuseppe Casalbore. Er verwies dabei insbesondere auf eine Studie aus dem Jahr 1968.
Keine Strafmilderungsgründe gefunden
„Ungeachtet alldessen“ hätten Schmidheiny und de Cartier weiter gemacht. Sie hätten dabei nicht einmal in Betracht gezogen, „radikale und strukturelle Veränderungen umzusetzen mit dem Ziel, die Situation am Arbeitsplatz zu verbessern und die Umweltschäden zu begrenzen,“ urteilte das Gericht.
Im Gegenteil: Schmidheiny und de Cartier hätten versucht, die schädliche Wirkung von Asbest zu verstecken und herunterzuspielen, hiess es in der Urteilsbegründung. An anderer Stelle heisst es, die Richter hätten „keinen Strafmilderungsgrund“ gefunden. Es scheine offensichtlich, dass beide Angeklagten nach „demselben kriminellen Muster“ gehandelt hätten.
Schmidheiny: Keine operative Verantwortung
Schmidheiny hatte nach dem Urteil via seinen Sprecher Peter Schürmann betont, dass er „weder je operativ Verantwortlicher noch Verwaltungsrat oder Besitzer der italienischen Eternit-Gruppe“ gewesen sei. Zudem habe die Schweizerische Eternit-Gruppe (SEG) in den 70er und 80er Jahren über 60 Millionen Franken in die italienischen Werke investiert, um die Sicherheit am Arbeitsplatz zu verbessern.
Schürmann machte damals weiter mehrere „schwerwiegende Verfahrensmängel“ geltend. Unter anderem sei den Verteidigern die Einsicht in Krankenakten der Opfer verweigert worden, in dem die Staatsanwaltschaft diese nicht als Beweise eingebracht habe.