Schnipp schnapp, Schnäbi ab!

Vielmehr als Bilder von gleichgeschlechtlichen Paaren, die sich küssen, provozieren anscheinend primäre Geschlechtsteile. Auch im 21. Jahrhundert, und sogar in Paris. Paris war die vergangenen Tage wieder das Epizentrum der Mode. Männer und Haute Couture. Meier’s Best war auch wieder dabei. Für die Männerwoche. Grob lässt sich der Mann des nächsten Winters, nebst dem, dass […]

Vielmehr als Bilder von gleichgeschlechtlichen Paaren, die sich küssen, provozieren anscheinend primäre Geschlechtsteile. Auch im 21. Jahrhundert, und sogar in Paris.

Paris war die vergangenen Tage wieder das Epizentrum der Mode. Männer und Haute Couture. Meier’s Best war auch wieder dabei. Für die Männerwoche.

Grob lässt sich der Mann des nächsten Winters, nebst dem, dass er unglaublich viele Schichten in unterschiedlichen Längen zusammen trägt, in vier Gruppen einteilen: Entweder er kleidet sich stay-dark-mässig wie ein Fürst der Finsternis (Boris Bidjan Saberi, Julius), macht auf konservativen Fun (Dior Homme, Thom Browne), frönt japanischer Verrücktheit (Issey Miyake, Commes des Garçons), oder er verkleidet sich abwechselend als 70s-Pseudo-Rocker (Saint Laurent), oder als 70s-Edel-Clochard (Raf Simons).

(Bild: Getty Images)

Würde man daraus eine Schnittmenge bilden, ergäbe sich gar noch eine fünfte Kategorie namens «Mann trägt keine Hose mehr»: die des amerikanischen Designers Rick Owens. Oder soll ich lieber sagen, Dick Owens?

«Nun, war es nicht an der Zeit, Penisse zu zeigen?», fragte Owens seine empörten Interviewer nach seiner Modenschau auf nonchalente Art. «Für mich war es die einfachste und natürlichste Geste und ihr wisst, wie sehr ich diese liebe.» Sagte es, lächelte und zog dann aber ziemlich schnell von dannen. 

«War es nicht an der Zeit, Penisse zu zeigen?»
Rick Owens

Der kalifornische und in Paris lebende Modeschöpfer schickte nämlich fünf seiner Models in Tunikas auf den Laufsteg, die einen sehr tief liegenden Schlitz oder ein Loch aufwiesen. Genauer betrachtet handelte es sich dabei um eine Art verdrehte Kleidungsstücke, die so angezogen wurden, dass ab und an ein Kragenloch «down under», also im Schritt, angelegt war. In der Fachpresse oder an einer Modeschule würde man da wohl von Dekonstruktion von gängigen Kleidungsstücken faseln oder so ähnlich…

Wie auch immer. Eigentlich wäre es null ein schockierendes Moment gewesen auf dem Catwalk, wenn die Models darunter noch eine Hose und/oder Unterhosen angehabt hätten. Dies durften sie aber eben nicht, denn das Tragen von Unterwäsche war streng tabu. Die logische Folge: Man sah, wenn man ganz vorne sass oder ein Opernglas bei sich trug, ab und an Penisse und Hoden hin und her schwingen. Totally shocking! «Glory Holes» und das auf dem Laufsteg! Vor allem für biedere Amerikaner eindeutig zuviel. Könnte man meinen.

«Project Free Willy» – Wirbel bei den Medien

Aufruhr, tausende Einträge auf Blogs und Social-Media-Foren und tonnenweise Zeitungsartikel sind erschienen und erscheinen noch immer. Es wird echauffiert und gewettert, den «Zipfel der Frechheit» nennt es gar Jeroen von Rooijen in der NZZ. Fachleute und Presse sind schockiert.

Aber auch amüsiert. Vom «Project Free Willy» spricht beispielsweise die «Woman Wear Daily» und doppelt noch mit einem Statement des britischen Designers Paul Smith zu Rick-O’s Show nach: «I decided to keep my trousers on». Die «i-D» schrieb, das nach dem Jahr des Arsches (logischerweise ist Kim Kardashians mit eigenem Körperfett vollgepumpter Allerwertester gemeint) nun wohl das Jahr des Schwanzes angelaufen sei (dieser Artikel ist vom Netz wieder verschwunden, ewig schade drum).

Niemand denkt aber in all den Berichterstattungen über die Position der Models nach. «Aber ja, Nacktheit, gell, das gehört halt zum Job», denken wohl alle. Oder: «Wer macht schon immer nur Sachen im Leben, die er gerne tut?» Wären sie in einem Werbespot vorgekommen, würden sie wohl vorher noch ein Snickers reindrücken…

Arme Männer

Weitaus erstaunlicher als die nackten Tatsachen ist doch wirklich, dass die Jungs das überhaupt gemacht haben. Denn die Preise, die an Fashion Weeks den Modellen für eine Show bezahlt werden, sind lächerlich tief. Ist das mehr oder eher weniger selbstsichere Auftreten der jungen Männer demnach als modern zu werten, weil sie buchstäblich Eier hatten, oder hatten sie doch einfach bloss Angst um ihre Karrieren?

Eines ist ganz sicher; marketingmässig ist Rick Owens mit dieser Aktion, cheesy oder nicht, ein äusserst potenter Clou gelungen. Doch nach all den pimmellastigen Reaktionen um seine Präsentation erstaunt es wenig, dass praktisch niemand etwas über die Kollektion geschrieben oder gesagt hat.

Das ist sehr schade, denn die ist ihm ziemlich gut gelungen. Insbesondere die trapezförmigen Jacken aus Techno-Materialien oder die Kurzmäntel, deren Stoff er mit Rost behandelt hat, würde man sofort anziehen wollen.

(Bild: Getty Images)

Nächster Artikel