Erste Gehversuche sozusagen. Bei Wind und Wetter auf den Pass zwischen Ceannabeine und Meall Meadhonnach Richtung Inverness.
Es war ein Vollmond ohne Hof, und man achtet sehr darauf, wenn man auf schönes Wetter hofft. Wetter ist plötzlich wichtiger als auch schon. Aber ich ahnte, dass der Mond trüge, denn alle hatten mir gesagt, es werde regnen. Es regnete nicht – doch der Himmel war sehr bedeckt und die Wirtin des Hauses sagte, draussen sei es kalt. Sie erzählte nach dem Frühstück von ihrem Royal-Air-Force-Sohn: Er blickt aus einem eingerahmten Zeitungsausschnitt einer deutschen Zeitung – in Uniform, den dreijährigen Sohn auf dem Arm (ebenfalls eingerahmt, daneben, die englische Übersetzung des Artikels). Das Bild wurde aufgenommen nach der Rückkehr aus dem Golfkrieg vor zehn Jahren. Neunzehn Wochen waren die britischen Soldaten am Golf. Es sei eine harte Zeit gewesen, sagte die Frau, erst das Haus abgebrannt, dann der Sohn im Krieg. Sie sagte sonst nicht viel.
Ja, und dann brauchte es Überwindung, das Auto beim Pub hinzustellen, die guten Schuhe anzuziehen und sich ins Wetter zu begeben. So eine Art symbolischer Start. Richtung Pass zwischen Ceannabeine und Meall Meadhonnach. Aufs Geratewohl – ohne die Karte anzuschauen; habe es erst später gemacht und die Namen der Berge zu buchstabieren versucht. Es sind unaussprechlich gälische Namen. Sehr fremd wie auch die Leute hier, die hinter Küchenfenstern ungeniert verblüfft dem seltsamen Wesen nachstarren, das in den Nebel geht. Sie fragen sich wohl, wieso da einer dahergeht, der nicht irgendwelche entlaufenen Schafe einholen muss.
Ich kann es euch auch nicht so recht sagen. Er hatte einfach mal diese Idee und setzt sie jetzt um. Vielleicht aus ganz anderen Gründen, als er damals wollte. Damals wollte er vielleicht einfach ausbrechen aus soviel Konvention und es war schon ein Ausbruch, solche Fantasien zu haben. Und jetzt ist es ein handfester Ausbruch geworden. Oder so.
Und nun stampft er seine Schritte ins Moor, erst kilometerweit auf einem Feldweg, der plötzlich endet. Die Natur noch im Winterschlaf, die verfaulenden Gräser vom letzten Jahr ein Schmuck in der schwarzen, triefenden Erde. Eine riesige Pfütze – ich will sie umgehen, die nächste Pfütze, plötzlich alles voller knöcheltiefer Pfützen, die zu immer neuen Umwegen zwingen. Der Pass bleibt fern. Auch wenns erst ein symbolischer Start ist – den Pass will ich erreichen.
Ich schaffe es, es stürmt da oben. Die Faserjacke, die ich unterziehen will, bläst mir der Wind aus der Hand. Erst später dann entdecke ich die unerhört schöne Aussicht auf einen Meerarm, ein weisses Haus am anderen Ufer. Wer wohnt dort und vor allem: Warum? Ich versuche, den Meerarm vor mir einzuordnen, mag die Karte nicht hervornehmen, ist soweit egal, da ich den gleichen Rückweg nehmen werde – zurück zum Auto, das ein wenig Vertrautheit schenkt und das ich in wenigen Stunden zurückgeben werde. Erst später merke ich, dass ich das Meer unter mir falsch eingeschätzt hatte: Was ich sah, war nicht Kyle of Durness sondern Loch Eriboll. Ich wäre falsch gewandert.
Der Regen dann, schottischer Regen. Unangenehm kühl klebt er mir die Hose an den Beinen. Ich eile zurück, suche nach einem Genuss und finde die Tabakpfeife.
Ein Tee im leicht dumpfen Pub und dann im Ford auf die Strasse, die wir damals gefahren sind, als mir die Idee für die Wanderung kam. Lange Zeit ist mir die Strasse fremd. Bruchstücke von Erinnerungen kommen hoch. Der Wald übrigens, bei Altnaharra, wo wir damals picknickten, wurde in der Zwischenzeit weiträumig abgeholzt.
In Inverness alles touristisch professionell: Bed&Breakfast kein Problem, Auto zurückgeben ebenso wenig. Ein Bier im Pub, ein paar SMS, chinesisch essen, morgen gehts richtig los.