Den Weg in die staatliche Unabhängigkeit geht Schottland nicht, grössere Autonomie ist für die britische Region aber in greifbare Nähe gerückt. Beim Referendum über eine Abspaltung von Grossbritannien setzten sich die Unabhängigkeitsgegner mit klarem Vorsprung durch.
Das Nein-Lager in Schottland kam nach offiziellen Angaben auf 55,3 Prozent und konnte mehr als zwei Millionen Stimmen auf sich vereinen. Nötig waren zur Entscheidung der Volksabstimmung am Donnerstag 1,85 Millionen Stimmen.
Die Befürworter der Unabhängigkeit erzielten laut dem Endergebnis 44,7 Prozent. Die Wahlbeteiligung erreichte einen Rekordwert von 84,6 Prozent.
Premierminister David Cameron zeigte sich nach dem Votum erleichtert. Ein Ende der seit 307 Jahren bestehenden Union mit England hätte die Insel voraussichtlich wirtschaftlich und politisch in Turbulenzen gestürzt und Cameron wohl das Amt gekostet.
Mehr Föderalismus
Cameron kündigte bis Januar ein Gesetz an, mit dem die einzelnen Regionen Grossbritanniens mehr Befugnisse erhalten sollen. «So wie die Schotten» sollten «auch die Menschen in England, Wales und Nordirland mehr Mitsprache» bekommen, sagte er. Nach dem Referendum sei der Streit über eine Abspaltung nun «für eine Generation» beigelegt.
Cameron wartete bereits mit einem Zeitplan auf, seine Autonomieversprechen umzusetzen. Nach Regierungsangaben soll bis November ein Eckpunktepapier mit Vorschlägen für die betroffenen Bereiche wie möglicherweise die Finanzpolitik vorliegen.
Noch ist unklar, welche Kompetenzen im Detail London an Edinburgh abtreten wird. Die Schotten sollen voraussichtlich in der Sozial-, Steuer- und Finanzpolitik mehr Rechte bekommen. Dazu gehören etwa die Festlegung der Einkommenssteuer. Als unwahrscheinlich gilt, dass Edinburgh künftig über die Steuereinnahmen aus der Ölförderung in der Nordsee bestimmen darf.
Niederlage eingestanden
Nach monatelanger intensiver Debatte war der Ausgang der Volksabstimmung in Schottland bis zuletzt offen gewesen. Viele Verlierer zeigten sich in ersten Reaktionen enttäuscht. Sie kündigten aber zugleich ihren Einsatz für ein besseres Schottland im Vereinigten Königreich an.
Die Unabhängigkeitsbefürworter gestanden ihre Niederlage ein. Der schottische Regierungschef Alex Salmond sagte vor Anhängern in Edinburgh, eine Mehrheit habe entschieden, dass Schottland «zu diesem Zeitpunkt kein unabhängiges Land» werden solle. Zugleich rief er zur Akzeptanz des Ergebnisses auf. Das Referendum sei «ein ausgeglichener und einmütiger Prozess» gewesen.
Salmonds Stellvertreterin Nicola Sturgeon sagte dem britischen Sender BBC, bei den Befürwortern einer Abspaltung herrsche «echte Enttäuschung darüber, dass wir knapp unterlegen sind». Zum Referendum aufgerufen waren alle Schottinnen und Schotten ab 16 Jahren. «Soll Schottland ein unabhängiger Staat werden?», lautete die zur Abstimmung stehende Frage.
Freude, Tränen…
In Edinburgh und Glasgow harrten tausende Menschen die Nacht über in Pubs und auf den Strassen aus. Vor vielen Abstimmungslokalen in ganz Schottland brachen die Gegner der Abspaltung bei der Verkündung des Ergebnisses am Freitagmorgen in Jubel aus. Bei den Befürwortern der Unabhängigkeit flossen dagegen vielerorts Tränen.
Der Ausgang des Referendums war nicht nur in Grossbritannien, sondern in ganz Europa mit Spannung erwartet worden. Die Erleichterung über das Ergebnis war gleich am frühen Morgen an steigenden Börsenindizes abzulesen.
…und Erleichterung
Eine Abspaltung Schottlands hätte wahrscheinlich weitreichende Folgen für die Europäische Union gehabt und Unabhängigkeitsbefürworter in anderen Regionen wie Katalonien, Flandern oder Südtirol weiter beflügelt.
Die EU begrüsste die schottische Entscheidung. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte, für andere Abspaltungsbestrebungen könne Schottland «unter dem Dach des Vereinigten Königreichs» zu einem «Modell werden, das auch zur Befriedung in anderen Regionen beitragen kann». Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy sprachen von einem guten Ergebnis für das vereinte Europa.