Unabhängigkeit oder Verbleib im Königreich: Die Schottinnen und Schotten haben am Donnerstag darüber entschieden, ob sie sich nach mehr als 300 Jahren von Grossbritannien abspalten wollen.
Mehr als vier Millionen Schotten konnten bei dem historischen Referendum ihre Stimme abgeben. In den letzten Umfragen lagen die Gegner einer Unabhängigkeit erneut knapp vor dem «Ja»-Lager. Allerdings könnten die bis zuletzt Unentschiedenen den Ausschlag geben.
Das Referendum begann um 8.00 Uhr (MESZ). In der Wahlkabine mussten die Schotten die Frage beantworten: «Soll Schottland ein unabhängiger Staat werden?»
Die Entscheidung über die Zukunft ihrer Heimat elektrisiert die Schotten seit Wochen. Es wurde mit einer hohen Wahlbeteiligung gerechnet. 97 Prozent der Stimmberechtigten haben sich registriert.
«Wir können unsere Zukunft in unsere eigenen Hände nehmen», sagte der schottische Regierungschef Alex Salmond nach der Stimmabgabe in seinem Wahlkreis in Strichen im Nordosten Schottlands. Salmond plädiert für eine Loslösung von Grossbritannien. «Wir haben die Chance, eine erfolgreichere Wirtschaft aufzubauen, aber auch eine gerechtere Gesellschaft.»
Die vor den Abstimmungslokalen wartenden Menschen waren sich der Tragweite ihres Votums bewusst. «Das ist eine endgültige Entscheidung, die auch meine Kinder betreffen wird», sagte die 34-jährige Charlotte Farish, die ihre Stimme am frühen Morgen in Edinburgh abgab.
«Darauf habe ich mein ganzes Leben gewartet», sagte ein Geschäftsmann ebenfalls in Edinburgh. «Es ist Zeit, mit England zu brechen. Ja zur Unabhängigkeit!» Unterbrochen wurde der Geschäftsmann von mehreren Arbeitern, die riefen: «Stimmt mit nein!»
Kopf-an-Kopf-Rennen
Ein Mann sprach von einem «wundervollen demokratischen Prozess». Dessen Ausgang ist ungewiss: In den Umfragen deutete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen an. Nachdem die Gegner einer Unabhängigkeit lange Zeit in Führung lagen, machte die «Ja»-Kampagne in den vergangenen beiden Wochen Boden gut.
Die Befürworter des Referendums rund um Salmonds Schottische Nationalpartei (SNP) argumentieren, dass nur eine schottische Regierung die wahren Interessen der Schotten im Blick habe.
Die Unabhängigkeitsgegner tauften ihre Kampagne «Better together» (Besser zusammen). Die Summe der Nationen England, Wales, Nordirland und Schottland sei stärker als ihre Einzelteile, argumentieren sie. Zudem seien im Falle einer Unabhängigkeit Schottlands viele Fragen etwa zur EU-Mitgliedschaft oder der künftigen Währung ungeklärt.
Die Aussicht auf ein Auseinanderbrechen der weltweit sechstgrössten Volkswirtschaft und einer Atommacht mit ständigem Sitz im UNO-Sicherheitsrat hat weit über die Insel hinaus Besorgnis ausgelöst. In Grossbritannien wird im Fall eines «Ja-Votums» eine massive Regierungskrise befürchtet.
Letzte Charmeoffensive
Aufgeschreckt durch eine Umfrage, die das Unabhängigkeitslager erstmals vorn sah, hatten die politischen Spitzen Grossbritanniens in den vergangenen Tagen intensiv um die Schotten geworben. Premierminister David Cameron warnte vor einer «schmerzhaften Scheidung», welche die Schotten teuer zu stehen kommen werde. Mit wortreichen Versprechen für mehr Selbstbestimmung versuchten die drei grossen Parteien aus London, die Schotten im Boot zu halten.
Das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter erhielt in letzter Minute prominente Unterstützung. Tennisstar Andy Murray äusserte sich via Twitter genervt über die «negative Kampagne des ‚Nein‘-Lagers» und gab bekannt, «Ja» zu stimmen. Die Botschaft des populären Sportlers wurde mehr als 12’000 Mal auf Twitter weiterverbreitet.
Die Wahlbüros in Schottland waren bis Donnerstagabend um 23.00 Uhr (MESZ) geöffnet. Das Ergebnis sollte am Freitagmorgen vorliegen.