Schweiz von Strassburg wegen Wegweisung in Sudan zurückgepfiffen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erhebt sein Veto gegen die geplante Wegweisung eines sudanesischen Asylbewerbers. Nach Ansicht des Gerichts droht dem Mann in seinem Heimatland Folter, nachdem er in der Schweiz politisch aktiv geworden ist.

Aus EGMR-Sicht war die Ausweisung eines Asylbewerbers nicht korrekt (Bild: sda)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erhebt sein Veto gegen die geplante Wegweisung eines sudanesischen Asylbewerbers. Nach Ansicht des Gerichts droht dem Mann in seinem Heimatland Folter, nachdem er in der Schweiz politisch aktiv geworden ist.

Der heute 29-jährige Sudanese war 2004 in die Schweiz geflüchtet und hatte um Asyl ersucht. Er hatte geltend gemacht, in seinem Dorf in der Region Nord-Darfur von einer lokalen Miliz misshandelt worden zu sein. Das Asylgesuch wurde rechtskräftig abgewiesen.

«Inszenierung»

2009 stellte er ein zweites Asylgesuch und machte geltend, seit seiner Ankunft in der Schweiz der «Sudan Liberation Movement/Unity» beigetreten und zum Menschenrechtsverantwortlichen dieser Organisation ernannt worden zu sein. Aufgrund dieser neuen Tatsachen wäre er bei einer Rückkehr Verfolgung und Folter ausgesetzt.

Die Schweizer Behörden wiesen 2012 auch das zweite Asylgesuch ab und ordneten seine Wegweisung an. Das Bundesverwaltungsgericht hielt in seinem Entscheid vor einem Jahr fest, dass Zweifel an der von dem Mann behaupteten Herkunft aus der Region Darfur bestünden.

Was sein angebliches politisches Engagement betreffe, sei dieses «ohne Weiteres als akribisch dokumentierte Inszenierung subjektiver Nachfluchtgründe für die schweizerischen Asylbehörden zu erkennen». Es bestünde damit kein Grund zur Annahme, dass er bei einer Rückkehr mit ernsthaften Nachteilen von Seiten des Regimes zu rechnen hätte.

Aufmerksamkeit auf sich gezogen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist auf seine Beschwerde hin nun zum Schluss gekommen, dass im Falle eines Vollzugs der Wegweisung in den Sudan das in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Verbot von Folter oder erniedrigender Behandlung verletzt werden könnte.

Gemäss Urteil droht im Sudan nicht nur höherrangigen Politaktivisten Verfolgung oder Folter. Gefährdet sei jede Person, die gegen das aktuelle Regime opponiere oder der Opposition verdächtigt werde. Fest stehe zudem, dass die Aktivitäten politischer Gegner im Ausland von der sudanesischen Regierung überwacht würden.

Aufgrund seiner politischen Tätigkeiten in der Schweiz habe der Betroffene die Aufmerksamkeit des sudanesischen Regimes auf sich gezogen. Es gebe damit gute Gründe zur Annahme, dass er bei einer Ankunft im Sudan verhaftet, befragt und gefoltert werden könnte. Die Schweiz muss dem Mann 8500 Euro Kostenersatz zahlen. (Urteil 58802/12 vom 7. Januar 2014)

Der Fall reiht sich ein in eine Serie von Entscheiden, mit denen der EGMR die Schweiz jüngst in unterschiedlichen Bereichen getadelt hat. In der gleichen Zeit hat das Gericht allerdings auch zahlreiche Beschwerden gegen die Schweiz abgewiesen oder für unzulässig erklärt.

Kritisierte Rassismus-Verurteilung

Kritisiert hat der EGMR die Schweiz vor knapp zwei Wochen für ihre Rassismus-Verurteilung des türkischen Nationalisten Dogu Perincek. Der Gerichtshof war dabei zum Schluss gekommen, dass die Bestrafung wegen der Leugnung des Völkermords an den Armeniern das Recht auf freie Meinungsäusserung von Perincek verletzt habe.

Kurz zuvor hatte der EGMR die Schweiz wegen der Einziehung irakischer Gelder gerügt. Das Gericht hielt in diesem Urteil fest, dass sich die Schweiz – ebenso wenig wie andere Staaten – nicht einfach auf die entsprechenden UNO-Beschlüsse hätte berufen dürfen, sondern zu einer individuellen Prüfung verpflichtet gewesen wäre.

Im vergangenen Frühling forderte der EGMR die Schweiz auf, klar zu regeln, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen sterbewilligen Personen ohne tödliche Krankheit ein medikamentöser Suizid zu ermöglichen sei. Mit dem Fall ist aktuell noch die grosse Kammer des EGMR beschäftigt

Bundesgericht relativiert Ausschaffungs-Urteil

Für grosses Aufsehen sorgte im April letzten Jahres der Entscheid des EGMR zur geplanten Ausschaffung eines wegen Drogenhandels verurteilten Familienvaters in sein Heimatland Nigeria. Das Gericht war zum Schluss gekommen, dass sein privates Interesse an einem weiteren Verbleib in der Schweiz überwiege.

Das Bundesgericht sah sich im vergangenen September veranlasst, die Bedeutung dieses Urteils aus Strassburg zu relativieren. Kritisiert wurde vor allem der Umstand, dass der Gerichtshof seinen Entscheid massgeblich auf Fakten abgestellt hatte, die erst nach der bundesgerichtlichen Beurteilung von 2009 eingetroffen waren.

Schliesslich hatte der EGMR die Schweiz vor eineinhalb Jahren im Fall Youssef Nada wegen dessen jahrelanger Festsetzung in der italienischen Enklave Campione gerügt. (Urteil 58802/12 vom 7. Januar 2014)

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