Ein Zeichen der Deeskalation: Nach elfwöchiger Besetzung hat die ukrainische Opposition das Rathaus in der Hauptstadt Kiew unter OSZE-Vermittlung und Schweizer Beteiligung geräumt. Sie erfüllte so eine zentrale Forderung von Präsident Viktor Janukowitsch.
Am Morgen strömten zunächst zahlreiche Demonstranten aus dem Rathaus heraus. Später übergab der Kommandant der Oppositionsbewegung im Rathaus, Ruslan Andrejko, das Gebäude in einer Zeremonie an die Behörden. Im Beisein des Schweizer Botschafters in der Ukraine, Christian Schoenenberger, wurde vor dem Rathaus das Dokument zur Übergabe unterzeichnet.
«Die Schweiz war von den beiden Konfliktparteien gebeten worden, am Übergabeprozess teilzunehmen», sagte Schoenenberger gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Die Schweiz hat in diesem Jahr den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) inne. In diesem Rahmen hat sie bereits wiederholt ihre Unterstützung zur Lösung der politischen Krise in der Ukraine angeboten.
Bundespräsident Didier Burkhalter als OSZE-Vorsitzender begrüsste die Übergabe. Das sei eine positive Entwicklung in Richtung einer Deeskalation. «Ich hoffe stark, dass die Geste der Protestierenden die Ukraine näher zu einer Lösung der gegenwärtigen Blockierung durch friedliche und demokratische Mittel bringt», liess sich Burkhalter in einem OSZE-Communiqué zitieren.
Proteste gehen trotzdem weiter
Andrejko kündigte an, die Regierungsgegner wollten bis auf Weiteres vor dem Rathaus bleiben und die Proteste gegen Janukowitsch fortführen. Das Rathaus war am 1. Dezember gestürmt worden, nachdem Sicherheitskräfte eine Demonstration gewaltsam aufgelöst hatten. Es galt seitdem als «Hauptquartier der Revolution» in der Ukraine.
Die Freigabe öffentlicher Gebäude war die Bedingung für das Inkrafttreten einer Amnestie für Hunderte Oppositionelle. Mehr als 230 Menschen kamen zuletzt auf freien Fuss, mussten aber zunächst in Hausarrest. Die Opposition fordert die Einstellung von mehr als 2000 Strafverfahren gegen Demonstranten.
Auch in anderen Regionen im Westen der Ex-Sowjetrepublik zogen sich die Regierungsgegner zurück. In der Westukraine räumten die Demonstranten die Gebietsverwaltungen von Lwiw (Lemberg), Ternopol, Iwano-Frankowsk sowie in Poltawa in der Zentralukraine.
Zehntausende auf dem Unabhängigkeitsplatz
Am Mittag versammelten sich erneut zehntausende Regierungsgegner auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Dabei rief Arseni Jazenjuk zur Gründung einer Parallelregierung auf. Ministerpräsident Nikolai Asarow war in dem seit November andauernden Machtkampf unlängst zurückgetreten.
An einer neuen Regierung will sich Jazenjuk nur dann beteiligen, wenn Präsident Viktor Janukowitsch Machtbefugnisse abgibt. Jazenjuk führt die Parlamentsfraktion der Vaterlandspartei von Ex-Regierungschefin Timoschenko.
Die inhaftierte Timoschenko hielt ebenfalls an der Forderung nach dem Rücktritt Janukowitschs fest. In einem Interview mit der Wochenzeitung «Dserkalo Tyschnija» sagte sie: «Das einzige Thema der Verhandlungen mit Janukowitsch sind die Bedingungen seines Abgangs.»
Treffen mit Merkel
Gemeinsam mit dem Ex-Profiboxer Vitali Klitschko will Jazenjuk morgen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin treffen. Dabei dürfte es auch um das weitere Vorgehen der Regierungsgegner gehen.
Jazenjuk will vor allem eine Rückkehr zur Verfassung von 2004 erreichen. Damit würde Staatschef Janukowitsch an Machtfülle verlieren. Dagegen fordert Klitschko weiter Neuwahlen. Er bekräftigte bei einem Auftritt in Dnjepropetrowsk seine Absicht, bei den Präsidentenwahlen zu kandidieren. Die nächste Wahl wäre regulär im März 2015.