Die Schweizer Equipe reist mit stolzer Brust an die Leichtathletik-Europameisterschaften, die am Mittwoch in Amsterdam beginnen. Der Gewinn zweier Medaillen scheint realistisch.
Die Faustregel, wonach an Grossanlässen für den Gewinn einer Medaille drei Kandidaten mit entsprechendem Potenzial antreten müssen, tönt aus Schweizer Sicht vielversprechend. Mit Kariem Hussein, dem Titelverteidiger über 400 m Hürden, der Stabhochspringerin Nicole Büchler, der Langhürdlerin Lea Sprunger und dem Halbmarathon-Starter Tadesse Abraham entsendet Swiss Athletics gleich ein Quartett in die Niederlande, das in der europäischen Saisonbestenliste in den Top 3 figuriert. Ebenfalls zu den Kandidatinnen mit Ambitionen aufs Podest zählen Mujinga Kambundji über 100 und 200 m sowie die 800-m-Läuferin Selina Büchel. Und auch die Sprintstaffel der Frauen darf man – trotz des Fehlens von Kambundji – bei etwas Wettkampfglück auf der Rechnung haben.
Erstmals seit 20 Jahren – nach der Ära mit Anita Weyermann und André Bucher – kann Swiss Athletics wieder an eine EM reisen, ohne dass die berechtigte Angst von medaillenlosen Titelkämpfen mitschwingt. Ein «Nuller» stellte sich abgesehen von Helsinki 2012 letztlich nie ein. 2002 in München errang Bucher nach einer nicht optimal verlaufenen Saison doch noch Silber über 800 m, 2006 und für viele völlig überraschend 2010 holte Viktor Röthlin die Kohlen aus dem Feuer, und bei den Heim-Titelkämpfen 2014 im Letzigrund entdeckte die Schweiz mit Hussein einen neuen Star.
Die Gründe für die tolle Ausgangslage sind hausgemacht und basieren nicht bloss auf dem Ausschluss des russischen Teams. 2009, als sich die Heim-EM in Zürich abzeichnete, setzte ein Aufschwung ein, der bis heute anhält. Die Förderprogramme des Verbandes oder das Engagement von Meeting-Organisatoren wie Weltklasse Zürich verfehlten ihre Wirkung nicht. Viele Athletinnen und Athleten realisierten, dass die EM-Limite machbar ist. Sie setzten konsequenter auf die Karte Sport. Das 49-köpfige Schweizer Team für Amsterdam ist ähnlich gross wie vor zwei Jahren in Zürich. Im Vergleich zu Barcelona 2010 (21) und Helsinki 2012 (20) ist die Steigerung markant.
Und neben der Masse kommt diesmal mehr Klasse dazu. «Wir werden beste Werbung für die Schweizer Leichtathletik machen», verspricht Peter Haas, Chef Leistungssport bei Swiss Athletics.
Weniger Belastung für die Top 12
Die Europameisterschaften in Amsterdam, die mit der Sprint-Queen Dafne Schippers ein perfektes Zugpferd vorspannen können, warten mit einigen Neuerungen auf. Auf den Distanzen von 100 bis 400 m (inklusive Hürden) dürfen die besten 12 der Saisonbestenliste in der Vorrunde pausieren. Die Topsprinter kommen mit Halbfinal und Final über 100 und 200 m somit auf vier statt wie bisher auf sechs Einsätze. Diese Änderung ist mit Blick auf allfällige Staffel-Einsätze richtig. Aus Schweizer Sicht profitieren unter anderen Hussein, Lea Sprunger oder Kambundji von einem weniger gedrängten Programm.
Die Europameisterschaften werden seit Helsinki 2012 im Zweijahres-Rhythmus durchgeführt und fallen somit ein zweites Mal in ein Olympiajahr. In Finnland waren die Marathon-Läufer noch ausgeschlossen, weil ein Wettkampf über 42,195 km zwei Monate vor dem Olympia-Marathon keinen Sinn macht. Ein kürzerer Lauf hingegen dient sogar als ideale Vorbereitung auf den Saisonhöhepunkt. In Amsterdam können nun Abraham und Co. im Halbmarathon um Medaillen kämpfen, ohne ihre Chancen für Rio zu mindern.