Damit Athleten aus Kiribati oder Brunei in Rio professionell auftreten, rüsten der Sportartikel-Weltverband und das IOC erstmals Sportler gratis aus. Im Zentrum der Aktion steht ein Schweizer.
Der olympische Gedanke mag in den Wettkämpfen selbst eine Rolle spielen – abseits herrscht die Marktwirtschaft. Das bekommen insbesondere Athletinnen und Athleten aus kleineren Ländern zu spüren, die wenig Chancen auf Medaillen haben. Bogenschützen aus Bhutan etwa, Gewichtheber aus Kiribati oder Tischtennisspieler aus Syrien.
Sie ziehen keine Sponsoren an, und so kam es an früheren Spielen immer wieder vor, dass sie uneinheitlich auftraten, Ausrüstung von minderer Qualität trugen – und mit ihren Logos zum Teil die IOC-Werberegeln verletzten.
Dem haben der Weltverband der Sportartikelindustrie (WFSGI) mit einem Schweizer an der Spitze und das IOC nun Abhilfe geschaffen: Erstmals sind rund 650 Athleten aus 54 Nationen für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro von neun führenden Sportmarken rundum ausgerüstet worden. Kostenlos. Mit massgeschneiderten Produkten, meist Schuhen und Bekleidung. Einige wenige haben auch Equipment wie Badmintonschläger bekommen.
«Kein Land soll benachteiligt sein, weil es keine Sponsoren anzieht», sagte Robbert de Kock von der WFSGI in Rio zur Nachrichtenagentur sda. «No Athlete Left Behind» lautet das Motto in Anlehnung an das US-Bildungsgesetz «No Child Left Behind» – kein Athlet soll zurückgelassen werden.
De Kocks Verband vertritt etwa 70 Prozent des weltweiten Sportartikelumsatzes, rund 300 Milliarden Franken pro Jahr. Der Hauptsitz der WFSGI (World Federation of the Sporting Goods Industry) ist in Ostermundigen BE.
De Kock stammt aus den Niederlanden, lebt aber bereits seit fast 30 Jahren in der Schweiz und besitzt den Schweizer Pass. Früher war er selbst Spitzenspieler in Badminton und wurde in den Neunzigerjahren unter anderem Schweizer Meister im Doppel. Heute präsidiert er Swiss Badminton und lebt in Murten FR.
Korrupte Empfänger in Afrika
Vor zwei Jahren ist IOC-Präsident Thomas Bach auf den Verband zugegangen, und an der Eröffnungsfeier in Rio am 5. August liefen die Sportlerinnen und Sportler in ihren Outfits ins Maracanã-Stadion ein: Athleten aus Mikronesien, Tonga und Vanuatu, Kongo, Dschibuti und Südsudan, Syrien, Jemen und vielen weiteren Nationen. Auch Kosovos Spitzensportler, die erstmals unter eigener Flagge starten dürfen, gehören unter den insgesamt über 200 teilnehmenden Nationen zu den «Kunden».
Bedingungen gebe es keine, sagt de Kock. Ausser dass die Sportler die gesponserte Ausrüstung tragen. Am sozialen Unterstützungsprogramm beteiligen sich neun führende Sportmarken: Adidas, Arena, Asics, Nike, Orca, Mizuno, Puma, Speedo und Under Armour.
Für die Sommerspiele 2016 hat praktisch alles geklappt. «Wir konnten alle Athleten mit den richtigen Grössen ausstatten, sie sind glücklich und stolz», sagt Robbert de Kock. Der Weg dorthin war allerdings nicht ganz unbeschwerlich. Das IOC und de Kocks Verband haben aus der Vergangenheit gelernt. Bereits vor vier Jahren in London hatten sie einzelne Länder in Afrika und Südamerika unterstützt – und teilweise unerfreuliche Erfahrungen gemacht.
Während in einem afrikanischen Land die gesamte Entourage des Nationalen Olympischen Komitees glaubte, sich neben der Handvoll Athleten ebenfalls mit High-tech-Produkten einkleiden zu können, lag das Problem westlich des Atlantiks anders. 120 Pakete schickten die Ausrüster nach Südamerika: Kleider für die Eröffnungsfeier, Schuhe, ganze Disziplinen-Outfits. «Wir staunten nicht schlecht», erzählt de Kock, «als die Athleten in London dann mit der Ausrüstung von komplett anderen Sponsoren auftauchten.»
Garage im olympischen Dorf
Damit sich solche Szenen nicht wiederholen, wurde 2016 alles nach Rio de Janeiro geschickt. «Wir wollten keinen Missbrauch, sondern etwas Richtiges», sagt de Kock. Die Waren lagerten folglich in Kisten in einer Garage im olympischen Dorf. Dort machte sich mindestens eine Ratte darüber her. Sie kam aber nicht weiter als bis zum Plastik, bis sie von einem Sicherheitsmann eingefangen und in einem Karton ins Freie spediert wurde.
Diese Szene haben de Kock und seine Crew ebenso fotografisch dokumentiert wie die Übergabe der Ausrüstung an die Sportler. Alle mussten Schuhe und Bekleidung vor Ort abholen und unterschreiben. Man habe alles direkt den Athleten geben müssen, sagt de Kock, denn selbst einigen Missionschefs sei nicht zu trauen. Für ihn war die Mission «intensiv und umständlich zu organisieren» – aber das Ergebnis stimmt.
Weil das Massnehmen auf Distanz nicht ganz banal ist und sich einige Sportler erst kurzfristig für Rio qualifizierten, war eine Überproduktion nicht zu vermeiden. Was nach den Spielen übrig bleibt, soll in Brasilien verschenkt werden.
Bereits hat der Ski-Weltverband FIS laut de Kock Interesse für die Winterspiele 2018 in Südkorea angemeldet. Doch die Ausrüstung für den Winter ist wesentlich komplexer und teurer als jene für den Sommer. Ein Anzug für Eisschnelllauf etwa ist ein absolutes High-tech-Produkt. Der Entscheid soll im September fallen.