Im Kampf gegen Terrorismus analysiert das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) die über 1000 registrierten Gefährder und «Relevanten Personen» mit Hilfe von Psychiatern. Das Tool ist vom Psychiatrischen Dienst des Zürcher Amts für Justizvollzug mitentwickelt worden.
Das Analyseverfahren RADAR-iTE wurde zusammen mit der Universität Konstanz erarbeitet und werde beim BKA seit einiger Zeit eingesetzt, sagte BKA-Sprecherin Nina Lehmann. Sie bestätigte einen entsprechenden Bericht der «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche».
Hinter dem Projekt steht unter anderen Jérôme Endrass, der stellvertretende Leiter des Psychiatrischen Dienstes des Zürcher Amtes für Justizvollzug und ausserplanmässiger Professor der Uni Konstanz.
Gewalterfahrung wichtiger
«Es geht um Gewalt, also muss man nach Gewalt fragen, losgelöst von Extremismus oder Religion», sagte Endrass zur bei RADAR-iTE angewandten Fragestellung. Laut dem BKA werden die bereits bekannten Salafisten durch einheitliche Fragen in drei Risikogruppen eingeteilt; «hoch», «auffällig» und «moderat».
Dass bei der Einschätzung der Gefährlichkeit die Gewaltbereitschaft die Hauptrolle spielt und nicht der Grad an religiösem Fanatismus, erklärte Endrass im Interview so: «Die Gewaltforschung lehrt, dass jene die Handlungsschwelle viel leichter überschreiten, die Gewalterfahrungen hatten – ob im Krieg oder über eine Faszination für Waffen. Vorstrafen wegen Gewalt sind viel relevanter als das Posten von Hinrichtungsvideos.»
Die Deutschen Sicherheitsbehörden erhoffen sich, dass sie dank RADAR-iTE die wirklich gefährlichen Leute besser herausfiltern können, um sie enger zu überwachen.
Konzentration der Kräfte
Zugleich erhofft man sich eine bessere Konzentration der Kräfte. «Die New Yorker Polizei definierte 2001 ihre Hochrisikogruppe mit Kriterien wie ‚junges Alter, männliches Geschlecht, muslimischer Glaube und geringe Vorstrafenbelastung‘. Das Ergebnis: eine Massenüberwachung in Moscheen, Cafés, Buchhandlungen und Studentenvereinigungen. So kamen viele ungefährliche Personen ins Visier», sagte Endrass.
Zwar werde so das Risiko etwas gesenkt, aber «das hilft wenig, denn so verschwenden sie massiv Ressourcen auf die Überwachung Ungefährlicher – und die fehlen ihnen dann für die Abklärung der Gefährlichen».
Die Attentäter sind Bekannte
Das grösste Problem seien heute nicht Täter, die nicht auf dem Radar erscheinen, sondern diese pauschalen Risikomodelle. So komme es zu Attentaten von Dschihadisten, die bei den Behörden registriert waren.
Am 19. Dezember 2016 tötete am Berliner Weihnachtsmarkt ein solcher Attentäter 11 Menschen, als er mit einem Lastwagen in die Menschen raste. Den polnischen Fahrer des LKW hatte er schon zuvor erschossen.
Der Attentäter war ein den deutschen, tunesischen und italienischen Behörden bekannter gewalttätiger und mehrfach wegen Gewalttaten verurteilter Salafist mit Verbindungen zur Schweiz.
Gemäss BKA wurde RADAR-iTE bereits im September 2016 fertiggestellt. Die stufenweise bundesweite Einführung werde voraussichtlich in diesem Sommer abgeschlossen sein, hiess es in einer BKA-Mitteilung vom Februar dieses Jahres.
Schweiz: 90 Risikopersonen
In der Schweiz zählte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) im Mai 90 Risikopersonen aus der Dschihadisten-Szene. Diese Personen könnten «potenziell gefährlich sein für die innere Sicherheit der Schweiz», wie NDB-Chef Markus Seiler Anfang Mai bei der Vorstellung des Jahresberichts erklärt hatte.