Die Schweizer Radprofis gehören im olympischen Strassenrennen vom Samstag in Rio de Janeiro zu den Aussenseitern. Mit einer offensiven Fahrweise im ersten Teil wollen sie ihre kleine Chance nutzen.
«Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.» Die oft verwendete Sportler-Phrase trifft es für einmal ziemlich genau. Denn eigentlich ist die 237,5 km lange Strecke mit gegen 4000 Höhenmetern für Fabian Cancellara, Michael Albasini, Sébastien Reichenbach und Steve Morabito zu schwierig, sind die Anstiege zu lang und zu steil. Also wird das Quartett vermutlich eine im Radsport etwas ungewöhnliche Taktik anwenden: die Flucht nach vorne mit dem Versuch, in der ersten Rennphase mit Angriffen die Favoriten zurückzubinden.
«Der Parcours ist etwas für die Bergfahrer. Die können warten bis zum Finale», so Michael Albasini. «Wir als Nicht-Bergfahrer müssen das Rennen zu Beginn prägen. Es ist eine All-In-Situation.» Wenn dies nicht gelinge, werde es schwierig, eine Medaille zu gewinnen, so der 35-jährige Ostschweizer. Allerdings weiss auch Albasini, dass diese Taktik im Strassenradsport nur selten aufgeht, eine Fluchtgruppe – auch wenn sie gut harmoniert – es nur selten bis ins Ziel schafft.
Olympische Rennen haben aber ein spezielle Eigenheit. Anders als auf der World Tour oder an einer WM dürfen die besten Teams nur mit fünf statt mit bis zu neun Fahrern antreten. Das macht es schwieriger, das Rennen zu prägen und die Verfolgung einer Fluchtgruppe zu organisieren. Zudem ist der Kreis der Siegesanwärter gross. Die Hoffnungen der Schweizer sind durchaus berechtigt, dass sich die Favoriten gegenseitig neutralisieren könnten.
Dass eine Mannschaft ein olympisches Strassenrennen dominieren kann, haben in der Vergangenheit just die Schweizer bewiesen. 2012 in London fuhren sie die Konkurrenz fast in Grund und Boden – bis zum verhängnisvollen Sturz und der Aufgabe von Leader Fabian Cancellara. Dieses Jahr werden sie diese Taktik sicher nicht anwenden. «Wir kommen hier nicht über das Team zu einem guten Resultat, sondern über die Summe der Einzelfahrer», sagte Albasini.
Auch Nationaltrainer Luca Guercilena gab sich zuversichtlich: «Wir können das Rennen nicht machen, wir müssen intelligent fahren. Aber wir haben die besten vier Fahrer für dieses Rennen und diesen selektiven Parcours ausgewählt.» Die beste Situation für sein Team wäre es, wenn wir es in eine grössere, gut funktionierende Fluchtgruppe schaffen würden.
Auf wen die Schweizer am Ende tatsächlich setzen werden, wird der Rennverlauf zeigen. Cancellara, der sich auch auf das Zeitfahren vom Mittwoch vorbereitet, und vor allem Albasini werden versuchen, den Sprung in die Fluchtgruppe zu schaffen. Sie sind insofern prädestiniert dafür, als dass der Parcours auf der ersten Hälfte einer Klassiker-Strecke entspricht und teilweise sogar über Kopfsteinpflaster führt.
Die Kletter-Spezialisten Morabito und Reichenbach dürften sich dagegen an die Fersen der Bergfahrer heften und dann im zweiten, schwierigen Teil mit den dreimal acht Kilometer langen Steigungen versuchen, das Feld mit einer Attacke zu «sprengen». Auch sie müssen aber versuchen, eine Entscheidung vor dem finalen Anstieg auf die Vista Chinesa herbeizuführen.