Andorra ist in der WM-Ausscheidung in der Regel ein chancenloser Exot. Die topklassierten Schweizer sind nach der Kür ohne Punktverlust bereit, auch im unliebsamen Teil der Kampagne zu glänzen.
Am späten Ende eines über siebenstündigen Flug- und Bustransfers tauchten die SFV-Vertreter in eine schroffe Felslandschaft ein, die mehr auf Winter- oder Radsportler als auf Ballartisten ausgerichtet ist. Die Stippvisiten des FIS-Weltcup-Circuits und vereinzelte Bergankünfte der Tour de France generieren bei den knapp 76’000 Einwohnern selbstredend höhere TV-Ratings als der nächste Schweizer Kontrahent.
Deutlichere Gegensätze sind aus der Optik des Favoriten kaum vorstellbar. Ein aufregender Freitagabend in der pulsierenden Metropole Budapest, ein ausverkauftes Stadion, ein wilder und prickelnder Schlagabtausch, purer Nervenkitzel, aufgeputschte Schweizer Sieger. 72 Stunden später das reizlose Kontrastprogramm im schmucklosen Estadi Nacional in Andorra la Vella, auf einem unbedeutenden Nebenschauplatz, die Begegnung mit einer namenlosen Mannschaft vom unteren Ende der europäischen Leistungsskala.
Die endlose Gegentorflut
Derweil die SFV-Auswahl nach ihrer überzeugenden EM-Endrunde in Frankreich auf bemerkenswert hohem Niveau fortgefahren ist und die vierte WM-Teilnahme in Folge anpeilt, taumelt Andorra einer nächsten unvorteilhaften Rekordmarke entgegen. 84 ihrer letzten Länderspiele haben die Fussball-Zwerge nicht gewonnen, innerhalb der letzten 12 Jahre reihten sie in Wettbewerbsspielen 56 Fehltritte aneinander.
Seit Andorras FIFA-Zulassung 1998 türmen sich die negativen Ergebnisse auf. Die Bilanz in der EM- und WM-Ausscheidung fällt vernichtend aus: 91 von 94 Partien verloren, bei einem miserablen Torverhältnis von 23:295. Der Stamm ist in viertklassigen Klubs engagiert, einzig der Abwehrchef Marc Vales hebt sich beim finnischen Titelhalter Seinäjoen Jalkapallokerho vom übrigen tiefen Niveau ab.
In Portugal hielt der krasse Aussenseiter der Gruppe B dem Europameister exakt 73 Sekunden stand, in der 4. Minute erhöhte Cristiano Ronaldo auf 2:0. 74 Prozent Ballbesitz erspielten sich die Lusitaner auf dem Weg zum 6:0, mit einem ähnlichen Verlauf ist auch in der Heimpartie gegen die Schweiz zu rechnen.
Schwierigkeiten sind im Kleinstaat in den östlichen Pyrenäen nicht eingeplant. Im Gegenteil, die selbstbewussten Protagonisten wollen die Konturen des perfekten Auftakts zur WM-Kampagne im 770. Länderspiel der SFV-Geschichte mit einem diskussionslosen Erfolg weiter schärfen. «Sechs Spiele, 18 Punkte», lautet Admir Mehmedis persönliche Vorgabe für die kommenden zwölf Qualifikations-Monate.
Lichtsteiner drosselt
Bewusst etwas flacher hält Stephan Lichtsteiner den Ball. Der Captain ist um Seriosität bemüht und geht mit seiner professionellen Haltung voran: «Auch dieses Spiel wird eine Herausforderung.» Die Umstellung auf den Kunstrasen sei zumindest nicht zu unterschätzen, so der Juventus-Verteidiger. Der 88-fache Internationale erwartet ein Team, «das nur verteidigt, sehr hart spielt und es uns schwer machen will, Chancen zu erarbeiten».
Lichtsteiners Einschätzung ist vollumfänglich im Sinn von Vladimir Petkovic. Der auch abseits der Scheinwerfer ausnahmslos sorgfältige Coach platzierte bereits in den Minuten nach dem spektakulären 3:2 gegen Ungarn den Hinweis, unter keinen Umständen die Bodenhaftung zu verlieren.
Charakter und Augenmass sind innerhalb der gereiften Equipe ausreichend vorhanden, um mit der einseitigen Rollenverteilung richtig umzugehen. Dann müsste ohne das geringste Problem zu erreichen sein, was sich Petkovic wünscht: «Ein leichteres Spiel als in Budapest.»
Seit ihrem Comeback im erweiterten Kreis der internationalen Elite vor über zwei Dekaden hat die SFV-Auswahl im Pflichtteil selten enttäuscht. Blamagen in relevanten Momenten sind an einer Hand abzuzählen und liegen Jahre zurück. Der Tiefpunkt gegen Luxemburg (2008) gehört dazu, am Tag des 0:1-Debakels gegen Aserbaidschan (1996) war «Teamsenior» Lichtsteiner zwölfjährig.