Review zu „Religion and Cyberspace“ von Morten T. Højsgaard (2005) //
Von Tanja Hoch
Waren Sie schon einmal beichten und mussten danach das Vaterunser und „gegrüsst seist du Maria“ zur Vergebung der Sünden beten? In Zeiten des Web 2.0 ist das nicht mehr nötig: Auf Online-Beichtseiten kommt ans Tageslicht, was eigentlich nur den Ohren eines Pfarrers gelten soll und jeder, der Lust hat, kann die anonymen Sünder per Kommentarfunktion verdammen oder Absolution erteilen; in Abwesenheit eines Priester in persona Christi und ohne persönliche Gegenwart des Beichtenden. Hindus und Juden können gegen Bezahlung ein elektronisches Formular ausfüllen, das bestimmt, wo und wann für sie in einem weit entfernten Tempel oder an der Mauer in Jerusalem ein Ritual ausgeübt werden soll.
Ja, Webseiten mit religiösen Inhalten haben das Internet nach einigem Zögern doch noch erobert und natürlich gibt es auch zu diesem Phänomen ein Buch: „Religion and Cyberspace“ von Morten T. Højsgaard untersucht, wie religiöse Individuen und Gruppen auf die Chancen und Herausforderungen, die der Cyberspace bringt, reagieren. Zwölf Kapitel mit Themen wie die Geschichte der Online-Anbetung, Virtualität und Realität im Cyberspace, religiöse Konflikte in digitalen Kontexten und die Konstruktion religiöser Online-Identität. Tanja Hoch hat für den Mewi-Blog das Buch gelesen:
Wovon handelt das Buch?
Im 21. Jahrhundert sinkt die Zahl der Kirchenbesucher während die Zahl der religiösen Online-Angebote stetig steigt. Jedermann und -frau kann einen Webbrowser öffnen und sich auf die Suche nach neuen Formen des religiösen Ausdrucks begeben. Kultstätten und Lehrer werden vermeintlich überflüssig, da der Cyberspace alle Antworten und Diskussionsplattformen liefert. Die Aufsätze dieses Buches fragen, wie sich Wahrnehmung und Ausübung von Religion durch das Internet verändern.Die Autoren gehen dabei eher objektiv-beschreibend als subjektiv-wertend vor, was man nach den Utopien der Anfänge des Internets und den Dystopien über das Web 2.0 gut tut.
Was sind wichtige Schlagworte?
Online-Anbetung, Cyber-Gebet, Virtualität versus Realität, Informationsterrorismus, religiöse Konflikte im digitalen Kontext und Online-Konstruktion religiöser Identitäten.
Was sind zentrale Diskussionsfragen des Buches?
Das Kapitel „Crossing the boundary“ von Eileen Barker wendet sich der Nutzung des Internets durch neue religiöse Bewegungen zu. Einerseits können diese mit Hilfe der neuen Technik perfekt gestaltete Webseiten als Marketingstrategie anbieten, andererseits können sich die unterdrückten Mitglieder Dank elektronischer Kommunikation besser gegen die Führer der Bewegung wehren. Die Möglichkeit, dass jede Person mit einem Internetanschluss veröffentlichen kann, was sie will, führt natürlich dazu, dass die neuen Kirchen (und auch alle alten) keine Kontrolle haben, wenn polemische Inhalte verbreitet werden. Die Frage lautet hier: Ist das Internet ein Segen oder eine Bedrohung für diese religiösen Bewegungen? Eine weitere Frage steht im Zusammenhang mit Online-Ritualen und -Predigten: Ist das virtuelle Gemeinschaftsgefühl ausreichend für authentische religiöse Erlebnisse beim Surfen im Web?
Was hat gestört?
Die Inhalte des Buches sind sauber recherchiert und erfrischend neutral, erschöpfen sich aber mitunter in reiner Beschreibung und Auflistung von Daten. Da wünschte ich mir oft mehr Mut zur Thesenbildung.
Warum empfehlen Sie dieses Buch trotzdem?
Wir leben in einer Zeit, in der Säkularisierung als Realität angesehen wird, doch durch das Internet haben wir viel bessere Möglichkeiten, die Religion zu finden, die zu uns passt. Viele Leute, die man als religiöse Nomaden bezeichnen kann, basteln sich ihre eigene ‚Religion’ aus verschiedenen spirituellen Inhalten zusammen und versuchen somit, Sinn zu stiften. Egal ob überzeugter Atheist, Buddhist, Christ oder religiöse Waise auf der Suche nach einem Orientierungspunkt fürs Leben, dieses Buch bietet eine gute Informationsgrundlage, um sich nicht im Wirrwarr der Religion 2.0 zu verlieren.
Lieblingssatz?
In Kapitel 12 wird Steven Jones’ cyber-pessimistische Aussage über das Web als Gemeinschaft zitiert: „The only social formation that the internet offers, […] is the virtual analogue of a public library’s reading room, which […] is filled with ‚eccentrics absorbed in the rituals of monomania existing on the periphery of life, seeing each other daily but with no contact’.“
Und als Amuse-bouche…
GodTube ist das christliche Äquivalent zu YouTube. Das Motto: Broadcast Him. Auf der Webseite werden Musikvideos, lustige Sketches und Predigten mit christlichen Inhalten geteilt. Wie beispielsweise die Parodie von Sir Mixalots Lied ‚Baby got back’: http://www.godtube.com/watch/?v=1NNN8T8U