Sein Name ist Vladimir

Im sechsten Teil über die Jugendlichen in Europas Krisenländern berichten wir über einen Jungen aus Rumänien, der in Portugal eine Perspektive gefunden hat. Hier verdient er fünf Euro in der Stunde, in der Heimat wären es fünf Euro am Tag. Die Krise spürt er nicht. Da sitzen wir zu dritt im Café, Reporterin, Fotografin und […]

Der 19-jährige Vladimir aus Rumänien arbeitet als Orangenpflücker. Später möchte er sich selbstständig machen.

Im sechsten Teil über die Jugendlichen in Europas Krisenländern berichten wir über einen Jungen aus Rumänien, der in Portugal eine Perspektive gefunden hat. Hier verdient er fünf Euro in der Stunde, in der Heimat wären es fünf Euro am Tag. Die Krise spürt er nicht.

Da sitzen wir zu dritt im Café, Reporterin, Fotografin und Übersetzerin, und warteten auf einen Jugendlichen, der DJ werden möchte. Ein Jugendlicher wie viele in Portugal, mit Träumen und Vorstellungen von der Zukunft, die sich kaum mit der Wirklichkeit decken. Als DJ reich werden oder auch nur leben zu können, ist hier genauso schwierig wie anderswo. Der Jugendliche kommt nicht. Doch er ruft an. Und sagt: «Mein bester Freund hatte einen Motorradunfall, es tut mir leid, ich kann nicht zum Interview kommen.» Wir verstehen, dass er jetzt für seinen Freund da sein will, statt mit fremden Schweizerinnen über sein Leben zu reden.

Sein Leben, das er zu einem Grossteil im Tante-Emma-Laden seiner Mutter im Dörfchen Boliqueime in der portugiesischen Algarve verbrachte, wo er arbeitete, so, wie bei uns in der Schweiz die ganze Familie in den Quartier-Läden mithilft. Also sitzen wir da im Café, mit Block und Kamera und einem geplatzten Rendez-Vous. Ein Bier kostet 80 Cent, ein Kaffee 60 Cent. Es ist ein Ort ohne Tourismus, weil nicht an der Küste gelegen, dafür mit einigen Ausgewanderten. Engländer gibt es viele, zwei davon heiraten vor unseren Augen. Zwei Busse mit eingeflogenen Gästen warten, man jubelt und freut sich, und die Frauen können mit ihren hohen Schuhen kaum gehen auf den Pflastersteinen. Die Busse fahren weg, das Dorf ist wieder unter sich. Mit Einheimischen – und uns.

Stolzer Orangenpflücker

Und dann kommt da dieser Junge. Schüchterner Blick, schmutzige Jeans, Rucksack. Er geht in die Bar, kommt wieder raus. Hat sich nichts zu trinken gekauft. Steht da, quatscht mit Einheimischen. Die Übersetzerin hört ihm seinen Akzent an. Der Junge ist kein Portugiese. Wir fragen ihn, woher er komme. Er ist irritiert, vielleicht auch überfordert, aus dem Nichts von drei Frauen angesprochen zu werden. Wir erklären ihm, wer wir sind, was wir wollen, nämlich eine Reportage über Jugendliche in Portugal schreiben. Er will sich nicht setzen, will sich von uns nichts zu trinken spendieren lassen, bleibt aber stehen und spricht mit uns.

Seine Name ist Vladimir. Er ist 19 Jahre alt und lebt seit fünf Jahren in Portugal. Als 14-Jähriger reiste er mit seiner Mutter quer durch Europa. Das Ziel: ein besseres Leben. In der Heimat Rumänien hatte die Familie nichts, der Vater war längst nach Russland gezogen, um wenigstens ein bisschen Geld für die Familie verdienen zu können. Die Mutter fand einen Job in Portugal, Vladimir konnte zur Sekunderschule gehen. Er beendete sie vor kurzem, seither arbeitet er als Orangenpflücker. Daher die schmutzigen Jeans, er kommt gerade vom Feld. Es ist kein Aushilfsjob für ihn, im Gegenteil: Vladimir ist stolz, diese Arbeit zu haben. Stolz, erstmals selber Geld zu verdienen. «Hier erhalte ich fünf Euro in der Stunde, in Rumänien wären es fünf Euro am Tag», sagt er. Es sei ein gutes Leben, ein Leben, wie er es in der Heimat nie führen könnte, ist er überzeugt.

Wir sprechen Vladimir auf die Krise an, so, wie wir es bei allen Jugendlichen tun, die wir treffen. Alle Jugendlichen haben dazu etwas zu sagen, ausser Vladimir. «Ich sehe Chancen für eine gute Zukunft», sagt er. Selbstständig wolle er werden. Und Familie? Fast schon beleidigt sagt er: «Na klar will ich eine eigene Familie gründen.» Hier, in Portugal, seiner neuen Heimat. Einem Land, das für viele gleichbedeutend mit Krise ist. Lesen Sie dazu die grosse Reportage in der morgigen Print-Ausgabe der TagesWoche.

 

 

 

 

 

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