Sex im «Traumland»

Die Prostituierten sind die Opfer auf dem Altar der Monogamie. Aber wie funktioniert sie? Petra Volpe hat mehr als fünf Jahre in Zürich recherchiert. Mit ihrem «Traumland» liefert sie eine Bestandesaufnahme, mit einem grossartigen Schauspielerensemble. Frauen zeigen im Film, wo Prostitution anfängt: In den Ehe-Schlafzimmern. Petra Volpes «Traumland» fängt da an. Rolf (André Jung) kauft […]

Die Prostituierten sind die Opfer auf dem Altar der Monogamie. Aber wie funktioniert sie? Petra Volpe hat mehr als fünf Jahre in Zürich recherchiert. Mit ihrem «Traumland» liefert sie eine Bestandesaufnahme, mit einem grossartigen Schauspielerensemble.

Frauen zeigen im Film, wo Prostitution anfängt: In den Ehe-Schlafzimmern. Petra Volpes «Traumland» fängt da an.

Rolf (André Jung) kauft im Schein der Zürcher Weihnachtsbeleuchtung Geschenke ein. Das Fest der Liebe steht bevor. Rolf beschert sich auch gleich selbst. Er schenkt sich den Besuch – einer Prostituierten. Mitten in der weihnächtlichen Stille entwickelt sich das Drama. Rolf ist ein netter Freier. Fast möchten wir hoffen, dass es ihm gelingt, was er vorhat: Die Prostituierte auf einen Heiligabend bei sich einzuladen. Aber gibt es das überhaupt? Nette Freier?

Solange jeder dreissigste Mensch auf der Welt ein Migrant ist ….

Die Prostitution war immer eine Bedrohung des häuslichen Friedens. Während man in Schweden seit Jahrzehnten die Freier beim Sex-Kauf unter Strafe stellt, denkt man in Frankreich wieder darüber nach, Sex-Verkäuferinnen für ihre Erwerbstätigkeit unter Strafe zu stellen. In Zürich neigt man eher dazu, Prostitution zu verstecken. Mit den Verrichtungsboxen am Stadtrand verhindert man vor allem Eines: Das wir sehen, was alle angeht.
Die Liberalisierung ab den Siebzigern hat die Geschäftsidee Sex-Work – bei gleichzeitig steigenden Preisen – etwas aus dem Schmuddelecke geholt, nicht aber die Situation in den Wohnzimmern verändert. Filmemacherin Petra Volpe hat für Ihren Spielfilm «Traumland» fünf Jahre lang recherchiert – und dabei festgestellt, dass «viel gelogen und betrogen wird, und viele Familien auseinanderfallen – wegen Sex.» Warum? «Wir sind sexuelle Wesen – unsere Natur ist darauf ausgerichtet sinnlich in der Welt zu sein, neugierig und begehrend und wir wollen begehrt werden.»

Gleichzeitig verleihen Kriege und Reichtumsschere dem Menschenhandel weltweit Schub: Jeder dreissigste Mensch auf der Welt ist laut UNESCO Migrant. Auf der Suche nach Lohnarbeit treffen Frauen auf Menschenhändler, welche sie ins älteste Gewerbe verdingen. Für die Ich-AG «Sex» bedeutet das Brutalisierung der Konkurrenz.

«Die Rotlichtwelt hält uns einen Spiegel vor», sagt Volpe, «und zeigt uns viel über die Machtverhältnisse in der Gesellschaft. In «Traumland» geht es darum, wie die Mächtigeren mit den Menschen umgehen, die in der sozialen Hierarchie ganz unten sind und was das über sie erzählt». Die käufliche Liebe blüht dort, wo in den Ehebetten Flaute herrscht. Auch im Wellness-Bereich gewinnt Sex-Work im Wohlstandsland einen neuen Stellenwert.

Die Familie im Rotlicht besehen – von Frauen

Volpe ist eine unter vielen Frauen, die sich auf die Erkundung der Prostitution machten. Im Gegensatz zum Bündner Men Lareida, der in Solothurn mit «Viktoria» einen – eher clichierten – männlichen Blick zeigte, reflektieren Filmemacherinnen – wie kürzlich an den Berliner Filmfestspielen – die käufliche Liebe neu: In Tatjana Turanskyjs Film «Top Girl» ebnen sich mehrere junge Frauen mit der Geschäfts-Idee Sex ihre Karrierewege. In «She’s lost control» von Anja Marquardt verliert eine Sexual-Therapeutin die Distanz zu ihrem Patienten. Ihre Sexualstunde wird zu einer verunglückten Liebesgeschichte.

«Traumland» zeigt die Prostitution nicht als Problem, sondern als Symptom. Volpe beleuchtet die Seite der Sex-Workerin. Aber sie geht dem Hintergrund des Sex-Arbeitgebers – des Freiers – ebenso nach. Auch schaut sie hinter die Kulisse der Sozialarbeiterin, die letztlich beide betreut. «Rolfs Gang zu einer Prostituierten», sagt sie, «ist die Verneinung der Komplexizität. Freier versuchen dieser Grösse auszuweichen, wenn sie Sex kaufen. Der Freier bezahlt, die Frau muss machen was er will».

Alle suchen nach Liebe. Doch nur Sex ist käuflich  

Volpe hat als Studentin beim Sex-Telefon gearbeitet und dort einiges erfahren, über die Ehe-Schlafzimmer der Kunden. Deshalb richtet sie in «Traumland» den Blick erst einmal auf scheinbar unzusammenhängende Familiengeschichten: Judith, die Sozialarbeiterin, betreut die Prostituierten auf dem Strassenstrich. Lena, die hochschwangere Familienmutter, die ihrem Kind noch rasch ein Geschenk kaufen will, findet eine Gleitcrèmepackung im Wagen ihres Mannes. Die verwitwete Maria hat für Heiligabend ihren spanischen Bekannten zum Essen eingeladen, der sie für ihre schöne Spitzenunterwäsche als Hure beschimpft. Und dann ist da die junge Nachbarin  – Mia.

Die Prostituierten sind die Opfer auf dem Altar der Monogamie

Mia, eine serbische Prostituierte, ist zu Beginn nur am Rande des Bildes sichtbar – als Kundin der Sozialarbeiterin Judith. Mia träumt, wie alle Frauen, die ihren Körper verkaufen, von Freiheit in Zürich. Mia wird zum Knotenpunkt im Netz, das die vier Familiengeschichten verbindet. Doch entscheidend bei diesem Netz sind nicht die Verbindungen, sondern die Grösse der Löcher, durch sie fällt.

Volpe beschränkt sich bei der Geschichte von Mia nicht auf das, wozu sich das Medium Film – als vornehmlich männlich voyeuristische Kunst – vorzüglich eignen würde: Zur Darstellung des Begehrens der Körper in der Prostitution. Volpe hat sich in jahrelangen Recherchen ein Bild der Prostitution verschafft. «Mir ist aufgefallen» sagt sie, «dass Freier sich sehr einfache Dinge wünschten. Sie reden aber darüber offenbar nicht mit ihren Frauen. Da das Gespräch völlig anonym war –  ich hörte ja nur die Stimme – haben die Kunden viel von sich erzählt. Es waren oft Männer in deren Ehe vieles nicht ausgesprochen wird».

Freier – die grammatikalische Steigerungsform von frei

Als Mia in Rolfs Wohnung auftaucht, dringt die Prostitution endgültig ins Wohnzimmer zurück. Plötzlich sitzt Mia neben Rolfs Tochter, die wider Erwarten doch am Weihnachtstisch erschienen ist. Doch die Tochter spricht nicht «darüber». Sie fragt nur «Ist das Huhn Bio» «Was?» «Bio!» – dann isst sie Riz Casimir. Da sitzen dann um Mia drei weitere Einsame: Der Grossvater, der Vater und die Tochter am Weihnachtstisch. André Jung zückt alle Register der Verlassenheit. Er stattet seinen verstossenen Gatten so eindrücklich mit Liebenswürdigkeit aus, dass wir fast vergessen, wie verloren er auf einen Bus warten kann, wie akkurat er Unterhosen falten mag, als er die Nutte brutal in die Nacht hinaus schickt.

Luna Mijovi’s Mia geht den Weg zu Ende. Als sie zum Schluss ins Zentrum der Geschichte rückt, ist das schief hängende Liebesleben ihrer Umgebung längst implodiert: Die Sozialarbeiterin kommt mit ihrem Bedürfnis nach Nähe nicht zurecht (Bettina Stucki lässt z.B. hinter der robusten Fassade der Sozialarbeiterin Judith ein trauriges, ungestreicheltes Herz aufblitzen- Filmpreiswürdig). Ihr Freund (Stefan Kurt) verarmt in der unzärtlichen Quarantäne.




Der schonungslose Blick aus Zürcher Stubenfenstern auf den Strassenrand

Volpe weist sich mit «Taumland» nicht nur als eine gerissene Episodenerfinderin aus. Sie kann auch Bilder sprechen lassen: Was sie uns von Zürich (und Berlin) zeigt, ist ein Grosstadtblick auf diese Stadt mit Randzonen und Dreckecken und ortet die Prostitution als ein Symptom, das neben anderen steht: Die spanische Witwe schmeisst Mias Wäsche in den Abfall, klaut Mias Geld und wirft es in den Opferstock der katholischen Kirche. Die schwangere Lena, die den weihnachtsbaumschmückenden Gatten wegen der Gleitcreme im Auto zur Rede stellen will, tröstet sattdessen ihr Töchterchen, das gerne ins Zimmer käme: «Nei, s’Chrischtchindli isch nanig fertig mitem Baum». Aber «darüber» zu reden schafft niemand von diesen Einsamen.

Volpe präsentiert einen schonungslosen Blick in Zürcher Stubenfenstern. Sie zieht, wie die anderen Frauen in ihren Filmen, ähnliche Schlüsse: Prostitution fängt dort an, wo Sexualität aufhört, zur Liebe zu gehören. Im Machtgehabe, in der Phantasie, im Ehebett. «Traumland» unterläuft geschickt unsere Vorurteile, bis auf eines: Selbst zwischen der freiwilligsten Sexworkerin und dem allerherzliebsten Freier steht immer das Geld. Doch Geld ist nicht lieb. Auch wenn es gerne das liebe Geld genannt wird. Es ersetzt auch nie Liebe. Es drückt nur Machtverhältnisse aus – zwischen Männern und Frauen.

Dafür ist «Traumland» auch gleich dreifach für den Schweizer Filmpreis nominiert.

Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos.

Das ausführliche Interview mit der Regisseurin und eine ausführliche Filmbesprechng lesen sie auch im «Lichtspiele-Blog».

Filmpreis nominiert.

Der Film läuft zur Zeit u.a. in den Kult-Kinos in Basel

Nächster Artikel