Sexualstraftäter dank Kameras überführt

Straftaten sind auf Videos selten zu sehen. Die Bilder von Überwachungskameras helfen aber der Justiz, Täter zu überführen – wie zwei aktuelle Fälle beweisen.

Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist umstritten - aber manchmal wirksam.

Straftaten sind auf Videos selten zu sehen. Die Bilder von Überwachungskameras helfen aber der Justiz, Täter zu überführen – wie zwei aktuelle Fälle beweisen.

Ja, er habe sie vergewaltigt. Ja, sie habe sich gewehrt. Geschrien und gekratzt. Ja, er habe sie an den Armen festgehalten. Nein, der Kollege und er hätten sie nicht gleichzeitig penetriert. Sondern nacheinander. Und nein, er habe sie nicht anal genötigt. Nur der Kollege. Sie sagt etwas anderes. Sie, eine Frau mittleren Alters, die gern am Bahnhof Bier trinkt mit Randständigen. Die seit sechs Jahren einen Freund hat und seit dem 11. Mai dieses Jahres keine Berührungen mehr erträgt.

Diese Frau lag verstört und halbnackt am Boden einer öffentlichen Toilette auf der französischen Seite des Bahnhofs in Basel, als SBB-Sicherheitsangestellte sie fanden. Zufällig. Weil sie einen Mann mit einem Frauenportemonnaie in der Hand aus der Damentoilette kommen sahen. Und dachten: «Da stimmt was nicht.» Der Mann wurde gleichentags verhaftet. Er ist ein Asylbewerber aus Tunesien, der wenige Monate zuvor mit dem Schiff nach Lampedusa geflüchtet war und später in Basel landete. So bald wird er die Stadt nicht mehr verlassen können: Das Strafgericht hat ihn am 1. November zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Sein Komplize ist flüchtig.

Täter vergewaltigten gleichzeitig

Das gemeinsame Begehen der Tat spielte bei der Strafzumessung eine wichtige Rolle. Der Angeklagte hatte zwar bis zum Schluss der Verhandlung bestritten, die Frau gleichzeitig mit dem Kollegen vergewaltigt zu haben, die Videobilder zeigen aber anderes: Auf den Aufnahmen der Bahnhofskamera ist zu sehen, wie die Männer die Toilette gemeinsam betreten und nach einiger Zeit mit zwanzig Sekunden Abstand verlassen. Der Flüchtige ging zuerst. Die Sicherheitsleute verpassten ihn. Auch er ist Asylbewerber aus Tunesien.

Ohne die Videoaufnahmen hätte das Gericht keinen klaren Beweis für die gemeinsame Tat. Spermaspuren beider Männer und die Aussage der Frau zeigen zwar, dass sie von beiden vergewaltigt und sexuell genötigt wurde – nicht aber, dass die Männer es zusammen ­taten. Das Strafgesetz wertet solche gemeinsamen Taten als sehr schwer und sieht daher härtere Strafen vor. Für die zuständige Staatsanwältin und Dezernatsleiterin Sexualdelikte, Eva Eichenberger, gehören Videoaufnahmen immer mehr zur täglichen Arbeit. Und sie ist froh darum.

Mörder wegen Döner überführt

«Es ist ein Glücksfall, wenn ein Sachverhalt durch objektive Beweise untermauert werden kann. Dann können Behauptungen des Verdächtigen eindeutig als falsch entlarvt werden.» Sie betont auch, dass diese Kameras nicht zu verwechseln seien mit ­jenen Kameras, die im öffentlichen Raum hätten installiert werden sollen, vom Grossen Rat aber abgelehnt wurden. «Glücksfälle» wie beim jüngsten Vergewal­tigungsfall häufen sich auch, weil Private vermehrt Kameras installieren: in Läden, Tankstellen, Parkhäusern. «Unsere Kriminalisten klären bei jedem Verbrechen standardmässig ab, ob eine Kamera in der Nähe des Tatorts war», sagt Eichenberger. Einmal konnte dank den Videoaufnahmen eines Quartierladens ein Mörder überführt werden. Die Tat war – wie praktisch immer – nicht aufgezeichnet. Doch der Mann hatte behauptet, sich zum Zeitpunkt des Mordes in einer anderen Stadt aufgehalten zu haben. In den Aufnahmen aber war deutlich zu erkennen, wie er in der Nähe des Tatorts und kurz vor der Tat einen Döner isst.

Auch ein Mann, der mehrere Frauen belästigt hatte, wurde dank einer Überwachungskamera erkannt. Die Bilder zeigen den Mann zwar nur beim Tramfahren, von sexuellen Übergriffen ist nichts zu sehen. Ein Opfer konnte ihn aber anhand der Aufzeichnung zweifelsfrei als Täter erkennen. Für die Kriminalisten war das allerdings nur ein Teilerfolg: Sie wussten zwar, dass der Mann die Frau belästigt haben muss – seine Identität aber liess sich aus den Aufnahmen nicht ableiten. Erst die Veröffentlichung der Videoprints brachte den Erfolg: Ein ehemaliger Arbeitskollege identifizierte den Mann.

«Sexueller Serientäter gefasst»

Am 14. November wird dieser Fall am Strafgericht verhandelt. Betroffen sind vier Frauen. Sie alle wurden auf der Strasse vom Täter angegriffen und ­sexuell belästigt. Sie alle trieben den Mann mit Schreien in die Flucht, bevor er sie hätte vergewaltigen können. Die Übergriffe passierten zwischen dem Bachletten- und dem Kannenfeld-Quartier. Sie sorgten für Schlagzeilen.

Nicht alle Fälle, die Schlagzeilen machen, landen vor Gericht. «Es kommt vor, dass Kameras in der Nähe eines Tatorts ausgeschaltet sind. Oder es gar keine gibt», sagt Eva Eichenberger. Oder dass Täter nicht identifiziert werden können. Ihr sei klar, dass Videokameras umstritten seien. Trotzdem sei sie froh um jede Aufnahme, die einen Täter überführe, sagt Eva Eichenberger: «Im kommenden Gerichtsfall wurde dank Videobildern ein sexueller Serientäter gefasst. Damit konnten möglicherweise weitere Taten verhindert werden.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04/11/11

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