Mit Hercule Poirot, dem Meisterdetektiv mit gezwirbeltem Schnurrbart, hat Agatha Christie eine Krimiikone geschaffen. «Mord im Orientexpress» ist einer seiner bekanntesten Fälle – eine Hommage an das Buch, zu Agatha Christies 125. Geburtstag.
In «Mord im Orientexpress» wird Hercule Poirot von Agatha Christie wie folgt beschrieben: «Vor dem Trittbrett zum Schlafwagen unterhielt sich ein junger französischer Leutnant in prächtiger Uniform mit einem dünnen kleinen Mann, der sich bis über die Ohren eingemummt hatte, so dass man von ihm nur noch die rote Nasenspitze und die beiden Enden eines aufwärts gezwirbelten Schnurrbarts sah.» Klein und dünn? Beim Namen Hercule Poirot haben wir doch ein anderes Bild vor Augen; einen Schauspieler, der den belgischen Meisterdetektiv in mehreren Filmen meisterhaft und unvergesslich verkörperte und dem man vieles andichten kann – klein und dünn gehört jedoch sicher nicht zur Beschreibung von Peter Ustinov. Dafür hatte der Brite den Dünkel wunderbar drauf, das beleidigte Gesicht, wenn jemand es wagen sollte, den Namen «Hercule Poirot» noch nie gehört zu haben.
Ustinov war der Poirot schlechthin, und so mutet es fast merkwürdig an, dass «Mord im Orientexpress» – einer der berühmtesten, wenn nicht der berühmteste Hercule-Poirot-Roman – nie mit ihm in der Hauptrolle verfilmt wurde. Er hätte es sicher glänzend hingekriegt.
Lesen wir also stattdessen das Buch, das 1934 erstmals erschien. Dabei handelt es sich um einen eher untypischen Kriminalroman – wegen seines Endes. Denn Hercule Poirot löst zwar den Fall, lässt den (oder besser die) Mörder aber frei laufen. Denn für einmal ist er sich mit den Mördern einig: Das Opfer hat den Tod verdient.
Von der Lindbergh-Entführung inspiriert
Der Mann, der im Orientexpress auf dem Weg von Istanbul nach Calais kurz nach Belgrad den Tod findet, war selbst ein Mörder. Er hat einst ein kleines Mädchen umgebracht, sich aber durch viel Geld freikaufen können und ist so der damals in den USA üblichen Exekution entkommen. Zwölf Verwandte und Bekannte des Mädchens haben sich in der Folge zusammengetan, um ihm die (ihrer Meinung nach) gerechte Strafe doch noch angedeihen zu lassen. Die Zahl 12 ist von der Autorin kaum zufällig gewählt: So viele Köpfe zählt in den USA eine übliche Jury.
Christie hat sich für diesen Poirot-Fall von einem realen Ereignis inspirieren lassen: 1932 war der Sohn des Flugpioniers Charles Lindbergh im Alter von 20 Monaten entführt worden. Nach der Zahlung eines Lösegeldes in Höhe von 50’000 Dollar wurde das Kleinkind ermordet aufgefunden. Das Dienstmädchen, zu Unrecht beschuldigt, beging nach dem Verhör durch die Polizei Suizid – auch dieses Ereignis übernimmt Agatha Christie für ihren Roman.
Trotz dieser realen Hintergründe empfanden manche Kritiker – darunter Krimiautor Raymond Chandler – den Plot von «Mord im Orientexpress» als an den Haaren herbeigezogen. Finden wir nicht. Und ungewöhnlich ist das Buch auf jeden Fall, nicht nur, weil Agatha Christie damit eine Lanze für Selbstjustiz in begründeten Ausnahmefällen bricht. Dann nämlich, wenn die Justiz machtlos ist.
Mit Miss Marple und Hercule Poirot schuf die Engländerin Agatha Christie (1890–1976) zwei Ikonen des Krimigenres. Viele der Romane um die beiden Charakterdetektive wurden verfilmt. Mit dem Erlös aus dem Verkauf ihrer Bücher unterstützte die mehrfach ausgezeichnete Autorin die Ausgrabungen ihres Mannes, des Archäologen Max Mallowan, in Syrien und im Nordirak, an denen sie auch teilnahm und mithalf.